Altern Wie Ein Gentleman
und Ränkeschmieden, tun im Alter keinen guten Dienst mehr. Im Gegenteil, wer an ihnen festhält, wird bald allein auf der Parkbank sitzen.
Freilich, man kann das Kostüm seiner persönlichen Eigenschaften, die ehedem sichere Führer durch das Berufsleben gewesen waren, nicht wie ein Unterhemd auswechseln. Es bedarf einiger Anstrengungen. Die können wiederum zu schmerzlichen Einsichten und zur Wiederbelebung psychischer Ablagerungen und Erinnerungen führen, die man aus gutem Grund bis jetzt verdrängt hatte.
Denn manche Entscheidung, die einst respektabel begründet war, verliert nach Wiedervorlage im Alter viel von ihrem Glanz. Konkurrenten, die man vor Jahrzehnten zum Wohl der Firma erledigt hatte, sind später und kritischer Prüfung zufolge dem eigenen Vorteil zum Opfer gefallen. Ein verheimlichtes Doppelleben war in Wirklichkeit nicht der Rücksicht auf das Eheweib, sondern ausschließlich der eigenen Lustbarkeit geschuldet. Intrigen und politische Opfer im Ortsverein dienten weniger höheren Zielen als dem persönlichen Ansehen.
Stattdessen sollte man sich auf den christlichen Tugendkatalog besinnen und Hilfsbereitschaft, Mitleid, Offenheit, Milde und Ehrlichkeit pflegen. Das ist der Stoff, von dem die Alten zehren. Sie benötigen Menschlichkeit nicht als große Geste, sondern als kleine Handreichung im Alltag: der Sitz in der Straßenbahn, die Hilfe an der Kasse, das Entziffern von Preisschildern, die Berührung am Krankenlager. Nichts ist einklagbar, nichts kann erstritten werden. Ohne sie kann das Zusammenleben im Alter jedoch zur Qual werden. Wenn die Alten etwas von der Jugend erwarten, so sind es diese Charaktereigenschaften. Nur sie werden in der Lage sein, eine verlässliche Brücke zwischen den Generationen zu bauen.
Das Recht auf Müßiggang
»Ich will faul in allen Sachen,
nur nicht faul zu Lieb’ und Wein,
nur nicht faul zur Faulheit sein .«
GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
Als ich mich am letzten Abend im Dienste der ARD von meinen Kolleginnen und Kollegen verabschiedete, dachte ich am Schluss einiger kurzer Bemerkungen laut über meine Zukunft nach: »Ich habe eine ganze Reihe von Plänen und Vorhaben. Ich überlege, mich ernsthaft mit dem Alkohol auseinanderzusetzen. Ich habe auch mit dem Gedanken gespielt, Wüstling zu werden, ein real verkommenes Subjekt, der Schrecken aller Schwiegermütter und die Sehnsucht aller Väter. Aber mein alter Freund Rolf Eden hat mir abgeraten. Das sei nichts für späte Seiteneinsteiger, sondern Pflicht und Fron ein Leben lang. Er muss es ja wissen. Vielleicht werde ich auch Eisbachsurfer in München. Vermutlich aber«, und beendete damit drei Jahrzehnte ARD -Mitarbeit, »ziehe ich mich nach Tunix zurück, spiele Golf, schaue in Straßencafés, verborgen hinter Sonnengläsern, den Passanten hinterher und vertue nutzlos meine Zeit. Dort in Tunix habe ich im Übrigen eine ganze Reihe von Kollegen im besten Arbeitsalter zur besten Arbeitszeit angetroffen, die sich dort beizeiten niedergelassen haben. Von denen soll ich euch herzlich grüßen. VielenDank!«
Gelächter, Applaus, das war es dann gewesen. Anschließend standen wir noch eine Weile bei Wein und Bier zusammen.
»Das mit Tunix war eine hübsche Pointe, aber es ist nicht dein Ernst«, meinte einer meiner zukünftigen ehemaligen Kollegen.
»Doch!«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nichts mehr tust. Ich könnte das nicht!«
»Undenkbar«, assistierte eine Kollegin.
»Ich kann mir das sehr wohl vorstellen!«
»Ich plane bereits jetzt für die Zeit nach meiner Pensionierung und baue einen kleinen Weinhandel auf«, verriet ein zufälliger Gast und Kollege aus dem Süden der Republik, der noch eine Handvoll Berufsjahre vor sich hatte und von diesen sinnvollen Gebrauch machen wollte.
»Ein Kollege aus der Wirtschaft, der übernächstes Jahr in Rente muss, richtet sich gerade ein Café mit Kunstgalerie ein«, wusste ein anderer zu berichten.
So ging das hin und her, und eine halbe Stunde später lag eine Rentenreform auf dem Tisch, die Arbeit für alle bis ans Lebensende vorsah. Grundlage unserer unerhörten Pläne war eine diffuse Furcht der älteren Kollegen vor freier Zeit und die Angst zu verlieren, was ihnen zur zweiten Natur geworden war: ihre Arbeit, die damit verbundene Anerkennung und das Gleichmaß ihres Alltags.
»Du bleibst uns erhalten«, verabschiedete sich schließlich mein letzter Gast mit einem freundlichen Klaps auf meine Schulter, »wir sehen uns wieder.«
Wir sind uns nie
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