Altern Wie Ein Gentleman
Vergangenheit erzählt, dass ich früher auch unglücklich verliebt war und wie das ablief, und ihr versichert, dass alles vorbeigeht.«
»Das ist ja reiche Ernte nach sieben Jahrzehnten! Wie hat sie reagiert?«
»Säuerlich.«
»Ist ja klar, wenn du ihre Probleme hauptsächlich zum Anlass nimmst, aus dem Nähkästchen deiner Vergangenheit zu plaudern.«
»Ich bin, wie ihr wisst, das, was man eine Tochter aus gutem Hause nennt«, ergänzte die ergraute Psychologin, die ihre jugendlichen Leser wöchentlich mit gutem Rat versorgte, »was soll ich meinen Töchtern aus der Vergangenheit erzählen? Wie man einen Handkuss entgegennimmt, Bridge spielt oder eine klassischeHochzeit organisiert?«
»Guter Rat ist eben nicht teuer, wie es das Sprichwort will, sondern billige Ramschware. Der Ratlieferant darf reden ohne Unterlass, und man muss ihm noch dankbar zuhören.«
Alle nickten verständnisvoll.
»Sind wir überhaupt weise? Bist du weise?«
Der Professor im Ruhestand war überrascht. »Meinst du mich?«
»Ja.«
»Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, was mit Weisheit gemeint ist.« Er überlegte einen Augenblick. »Vermutlich eine literarische Figur ohne Empirie, das Gnadenbrot der Alten, weil sonst nichts mehr zum Beißen da ist.«
Gelächter.
»Großer Gott! Kein Wunder, dass du Anekdoten gebraucht hast, um deine Studenten bei Laune zu halten!«
»Na gut. Wie wär’s mit Würde?«
»Schlechte Idee! Weisheit möchte sich mitteilen, Würde bleibt für sich. Das sind ganz unterschiedliche Dinge.«
»Würde heißt Ruhe halten. Wir sollten aber laut und ungebärdig werden.«
»Im Gegenteil. Wir sollten still sein! Lärm fordert, und dazu haben wir kein Recht mehr.«
»Die Gegenwart braucht die Vergangenheit«, versuchte die Psychologin wieder Ernsthaftigkeit in unser Gespräch zu bringen. »Altersweisheit ist der Transmissionsriemen zwischen gestern und heute.«
»Schon recht! Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen zur Altersweisheit?«, wurde sie unterbrochen.
»Das ist steiniger Boden für die Wissenschaft«, gab sie zu, »denn kein Mensch weiß, wie Weisheit eindeutig definiert werden soll: die Fähigkeit, Vergangenheit und Gegenwart zu verknüpfen, oder das Vermögen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.«
Sie hob entschuldigend die Schultern.
»Das sind Eigenschaften, die jeder braucht, um sich im Beruf und im Leben zurechtzufinden. Warum sollen die gehäuft bei Alten vorkommen, die ohnehin nichts mehr damit anfangen können?«
»Um den Jungen auf die Nerven zu gehen.«
»Nein, umgekehrt. Das soll die Weisheit ja gerade verhindern!«
»Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, wir verzichteten auf die Weisheit und schwiegen in Zukunft einfach still?«
»Sag ich doch die ganze Zeit. Gibt’s noch Wein?«
»Der ist alle«, verkündete unser Gastgeber.
»Nachdem du deine Studenten los bist, erspar uns deine alten Witze!«
»Die höchste Form der Weisheit ist der Friede mit dem eigenen Alter.«
»Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären.«
»Weisheit ist für drinnen!« – die Psychologin schlug sich auf die Brust –, »Weisheit ist die gelassene Einsicht in den unausweichlichen Prozess des Alterns. Deswegen können nur alte Menschen weise sein, denn nur sie sind alt.«
»Das leuchtet ein«, wurde sie unterbrochen.
»Lass mich mal! Dazu gehört auch der entspannte Verzicht auf alles, was uns nicht mehr zusteht. Weisheit ist kein Sack voller guter Ratschläge, sondern sie bedeutet das Gegenteil: Zurückhaltung und in vielen Fällen Schweigen.«
Der Gastgeber hatte in der Zwischenzeit seinen Laptop angeworfen und begann eifrig zu tippen. Wir kannten diese ungewöhnliche Form der Gastfreundschaft bereits, schauten ihm ruhig zu und nahmen die Gelegenheit wahr, um nachzuschenken.
»Weisheit ist die Belohnung, die man erhält, wenn man ein Leben lang zugehört hat, obwohl man lieber selbst geredet hätte«, las er schließlich vor. »Ist von Mark Twain.«
»Also wird keiner von uns je weise werden!«
Zustimmendes Gelächter.
»Die einzige Weisheit, die wir erwerben können, ist die Weisheit der Demut. Demut ist ohne Ende«, fuhr er fort.
»Ist von wem?«
»Steht hier nicht.«
»Meine Güte, Demut ist das Letzte, was wir gelernt haben! Ist jemand von uns demütig? Nein! Will jemand demütig werden? Nein! Was hast du sonst noch im Angebot?«
»Altersweisheit gibt es nicht. Wenn man altert, wird man nicht weise, sondern nur vorsichtig. Das findet sich öfter. Ist von
Weitere Kostenlose Bücher