Altern Wie Ein Gentleman
scheint den Verdacht zu bestätigen.
Tatsächlich ist jeder Dritte meiner Generation in einer unüberschaubaren Vielfalt ehrenamtlicher Tätigkeiten eingebunden. Das ist auch der Politik nicht verborgen geblieben: »Unser Gemeinwesen lebt davon, dass Millionen von Bürgern aus freiem Entschluss bereit sind, sich für ihre Mitmenschen und für das Gemeinwohl einzusetzen«, betonte der damalige Bundespräsident Johannes Rau 2001 anlässlich des Internationalen Jahrs der Freiwilligen. Er hätte noch hinzufügen können, das Ehrenamt sei in Deutschland, neben dem Grundgesetz, das wichtigste soziale Bindemittel für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
In Zukunft wird es jedoch zugiger im sozialen Gebälk: Durch die schleichende Entstaatlichung von Teilbereichen der Gesellschaft entstehen Elendslücken, die nur durch privates Engagement gefüllt werden können. In dieser Situation erinnert man sich gerne der preiswerten Weltverbesserer. Der Bundespräsident empfängt sie seither regelmäßig und spart nicht an Lob und Orden.
Meine Generation, wohl wissend um die drohende Alterseinsamkeit, hat jüngst die familienunabhängige Generationensolidarität auf die Tagesordnung der Gesellschaft gesetzt: Jeder kümmert sich um jeden, ohne Ansehen der verwandtschaftlichen Beziehungen. In generationsübergreifenden Wohnprojekten sollen sich in Zukunft die Jungen nach Feierabend mit den Alten beschäftigen und jene Verwandtschaft ersetzen, die einer kläglichen Geburtenrate zum Opfer gefallen ist. Unsere Kinder und Enkel werden in diesem Modell doppelt zur Kasse gebeten: Tagsüber verdienen sie das Geld, um die Renten zu finanzieren, und Abends leisten sie den Angehörigen der kinderlosen Generation Gesellschaft. Sie sollen in Zukunft sowohl Geld als auch Zeit hergeben, damit die Alten finanziell und sozial abgesichert den Lebensabend genießen können.
Das wird nicht funktionieren. Unsere Kinder und Enkel werden schnell an die Grenzen ihres Zeitbudgets und ihrer Geduld stoßen. Die Kündigung des Generationenvertrags – das bequeme Leben ohne eigene Kinder – fordert jetzt unerbittlich ihren Preis. Mehr als vereinzelte Gelegenheiten zur gegenseitigen, zeitlich begrenzten Kontaktaufnahme werden die Jungen nicht leisten wollen.
Im Gegenteil – meine Generation wird unter sich bleiben und unsere Nachkommen von den Kosten unserer langen Leben entlasten müssen, indem wir die kostspieligen Pflegedienste durch unentgeltliche, gegenseitige Hilfen ergänzen. Anstatt einem Knaben Rechnen beizubringen oder eine junge Dame von den Früchten lebenslanger Lektüre naschen zu lassen, werden die Alten in Zukunft für ihresgleichen Besorgungen erledigen, Essen kochen, Ausflüge unternehmen und all jene Handgriffe leisten müssen, die sich gegenwärtig ein rigides Pflegeregime gut bezahlen lässt. Für meine Generation wird das Ehrenamt zur Pflicht gegenüber hilflosen Altersgefährten, denn die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich dramatisch erhöhen, die der jungen Pflegekräfte aufgrund der niedrigen Geburtenrate jedoch abnehmen.
Freilich, viele Rentner scheuen ihresgleichen. In der Hoffnung, dass sie der Umgang mit Heranwachsenden jung und lebendig hält, kümmern sie sich lieber als Hausaufgabenhilfe, Mietgroßmütter oder Märchenonkel um junge Menschen. Sie werden jedoch umdenken und sehr konkreten Dienst an fremden Körpern der eigenen Alterskohorte leisten müssen. Der Kindermangel, das ungünstige Verhältnis von jungen zu alten Menschen und die steigende Lebensdauer werden uns keine andere Wahl lassen.
»Es geht vor allem um einen Beitrag Älterer für die Gesellschaft. Diese braucht heute den Einsatz der Seniorinnen und Senioren in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens«, beschreibt unumwunden eine ehemalige Familienministerin die Erwartungen an die Alten, und ein anderer Autor wagt einen sehr konkreten Blick in die Zukunft: »Das Rentenalter kann nicht länger nur in Freizeit münden. Freiwillige Dienste werden so selbstverständlich sein, wie es der dann abgeschaffte Zivildienst einmal war« – und der war einst gesetzlich vorgeschriebene Pflicht.
Im fünften Altenbericht der Bundesregierung von 2006 heißt es eindeutig: »Weil der Anteil der Menschen im höheren Lebensalter steigt, der Anteil jüngerer Menschen hingegen rückläufig ist, werden es die Älteren sein, die die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zukunftsaufgaben maßgeblich mitschultern müssen.« Damit ist auch der Dienst alter Menschen an alten
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