Altern Wie Ein Gentleman
kurzen Kopfbewegungen verfolgt.
Wir brechen zügig auf. »Dann bis heute Abend, Frau Senft!«
Die nickt. »Ja, ja!«
Bevor ich die Wohnungstür schließe, schaue ich zurück. Da sitzt die kleine, schmale Gestalt, die stets ihre Pflicht getan hat, ohne je Dankbarkeit zu erwarten, in ihrem Rollstuhl und sieht uns, den einzigen Vertretern des Lebens, die sie noch hat, mit leerem, trostlosem Blick hinterher.
Verlassenheit ist etwas, das sich für gewöhnlich nur in unserem Inneren bemerkbar macht. In diesem Augenblick erfüllt sie jedoch den ganzen Raum mit einer dunklen, schneidenden Kälte.
»Überall sitzen diese alten Frauen allein in ihren Wohnungen. Man hat ihnen eingeredet, die Altenheime seien Sterbeorte für Schwerkranke. Deswegen wollen sie auf keinen Fall dorthin, und wenn doch, könnten sie es sich nicht leisten. Ich sollte nicht klagen«, fährt Frau Schley fort, während wir die drei Treppen hinuntereilen, »schließlich lebe ich von diesen alten Menschen. Aber deren Verlassenheit ist oft zum Steinerweichen.«
Wenn drohende Einsamkeit die größte Herausforderung im Alter ist, dann müssten alle sozialen und politischen Maßnahmen ihrer Vermeidung dienen. In diesem Land bewirken die Pflegeversicherung und eine merkwürdige Vorstellung vom Altern in den eigenen vier Wänden jedoch genau das Gegenteil.
Gut zwei Drittel der alten Leute, die nicht in festen Beziehungen leben, verbringen ihren letzten Lebensabschnitt mutterseelenallein daheim, anstatt in modernen, gut eingerichteten, großzügigen Wohnanlagen gemeinsam mit anderen alt zu sein.
In einer Art semantischem Feldzug ist es gelungen, den Betagten einzureden, Altenheime seien dasselbe wie Pflegeheime. Seither verkriechen sich viele verängstigt in ihren Wohnungen und leben in ständiger Furcht vor der Einweisung in ein Heim.
Die »Vierziger« hatten einst die Idee der Wohngemeinschaft aus den Vereinigten Staaten importiert. Zwischenzeitlich geriet sie wieder in Vergessenheit, denn sie vertrug sich nur schlecht mit Familienplanung und Karriere. Im Alter nun erlebt sie eine Renaissance als Alternative zur Vereinsamung und zu betreutem Wohnen.
Auf den ersten Blick ist sie eine bestechende Idee, auf den zweiten ein gefährliches Unterfangen. Wohngemeinschaften sind überaus komplizierte und störanfällige soziale Einheiten. Geschmack, Klatsch, Sauberkeit, Sympathien, Sozialverhalten, tägliche Gewohnheiten und vieles andere mehr müssen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Das klappte schon in der Ausbildungszeit selten auf längere Sicht – was damals wenig Schaden anrichtete. Wer in seiner Wohngemeinschaft nicht zurechtkam, packte seine Habseligkeiten zusammen und zog zwei Straßen weiter.
Wer im Alter Zeit, Geld und Hoffnungen investiert und das Wagnis einer Wohngemeinschaft eingehen möchte, muss wissen, dass die Suche nach einem gemeinsamen Nenner als Grundlage dauerhafter Stabilität sehr viel schwieriger geworden ist. Unsere Beweglichkeit hat nachgelassen, unser Beharrungsvermögen dagegen zugenommen. Unsere Schrullen und Marotten sind im Laufder Zeit zu festen Größen unseres Charakters geworden. Wir lassen ungern von ihnen. Dasselbe gilt für Überzeugungen und Ansichten. Wir haben die Geschmeidigkeit zur spontanen Konfliktlösung verloren und sind nachtragender geworden. Unsere eingefahrenen Gewohnheiten bestimmen unerbittlich unseren Alltag. Wir sind seltener unterwegs und bleiben häufiger daheim. Diese Eigenheiten, die jeder für sich in das Projekt einbringt, entwickeln mit der Zeit häufig eine unkontrollierbare Sprengkraft.
Eine Wohngemeinschaft alter Menschen birgt mithin beträchtliches Risiko, denn keine Anfangseuphorie ersetzt die Dauer. Scheitert das Projekt nach zähen, stets unerfreulichen Auseinandersetzungen, dann scheitern Hoffnungen, ein Zukunftsentwurf und Freundschaften. Und für einen weiteren Neubeginn wird uns die Zeit knapp.
Die vorherrschende Gesellungsform meiner Generation wird deshalb in Zukunft betreutes Wohnen in geräumiger Umgebung mit einem reichhaltigen Angebot an sportlichen Aktivitäten sein. Dort werden wir uns, in einer ausgewogenen Mischung aus Mitarbeit und Rückzug, um unser eigenes Schicksal kümmern. Vielleicht zieht sogar der süße Ludergeruch vergangener Träume durch die Flure, denn wenn nicht jetzt – wann dann?
Staatliche Eingriffe werden dafür sorgen müssen, dass auch Rentner mit bescheidenen Einkünften menschenwürdige Unterkünfte finden. Die gutbetuchten
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