Alterra: Der Herr des Nebels: Roman (German Edition)
Abend alle hier in diesem Saal oder nicht weit davon entfernt. Da könnten wir uns doch mal ein bisschen in seinen Gemächern umsehen.«
»Zu gefährlich!«, erwiderte Maylis sofort.
»So eine gute Gelegenheit wird sich so schnell nicht wieder bieten!«
»Stell dir doch mal vor, was passiert, wenn man dich erwischt!«
»Eben! Wenn es einen Augenblick gibt, in dem ich das am wenigsten riskiere, dann jetzt.«
Maylis war nicht überzeugt.
»Ich weiß nicht … Er ist zu allem fähig.«
»Genau deswegen brauche ich dich: Du musst ihn im Auge behalten. Wenn er den Saal verlassen will, hältst du ihn entweder auf oder flitzt los, um mich zu warnen. Mit deiner Alteration kannst du dich in den Schatten der Gänge verstecken und ihm zuvorkommen.«
»Eben, deshalb sollte lieber ich gehen, ich kann mich besser verbergen.«
»Der Unschuldstrinker ist vorsichtig. Er hat seine Gemächer sicher abgeschlossen. Und nur ich kann durch Türen gehen.«
Maylis seufzte ergeben.
»Schön. Aber versprich mir, kein unnötiges Risiko einzugehen. Du schaust nach, ob du etwas Verdächtiges findest, und kommst dann sofort wieder hoch. Einverstanden?«
Zelie lächelte verschwörerisch und nickte.
Zelie schlich durch die Gänge des Schlosses. Klein und unauffällig glitt sie unter den Fackeln dahin, stieg scheinbar endlose, schwindelerregende Wendeltreppen hinab und schlüpfte durch schmale Türen in finstere Gänge und Räume, die höchstens von ein paar Kerzen erleuchtet wurden.
Sie hatte den Trakt der Pans verlassen und befand sich jetzt in den Gemächern der Großen. Hier hatte sie eigentlich nichts zu suchen, aber es gab kein Gesetz, das einem Pan verbot, hierherzukommen. Man brauchte nur einen guten Grund, und Zelie mangelte es nicht an Phantasie.
Außer ein paar vereinzelten Großen, denen sie sorgsam auswich, begegnete sie unterwegs niemandem, vor allem keinen Wachen. An diesem Abend waren nur ein paar vereinzelte Soldaten auf den Wehrgängen und Turmspitzen postiert, um die Festung nach außen hin zu sichern. Pans und Große begannen, einander zu vertrauen.
Eine Regel, die für mich nicht gilt!, dachte Zelie.
Die Schuld daran trug ganz allein er. Der Unschuldstrinker. Bei jedem anderen Großen hätte sie ihre Nase nicht in Dinge gesteckt, die sie nichts angingen. Aber bei so jemandem durfte man nicht Däumchen drehen und abwarten. Nicht bei der großen Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete. Die Pans erwarteten schließlich von den beiden Schwestern, dass sie sie repräsentierten und … beschützten. Knapp vier Monate nach seiner Nominierung fragte sich Zelie noch immer, wie König Balthazar ausgerechnet so jemanden zum Botschafter hatte ernennen können.
Der Unschuldstrinker ist der geborene Politiker, er hat gute Kontakte und viele Unterstützer, und eine große Zahl Zyniks glaubt an ihn. Nur deshalb hat Balthazar zugestimmt. Im Grunde hatte er gar keine Wahl. Bestimmt hat ihn der Unschuldstrinker dazu gezwungen, ihn im Austausch für seine Treue und die seiner Anhänger zum Botschafter zu machen!
Das musste es sein. Nach dem Sturz von Königin Malronce hatten sich die Zyniks in zwei Lager gespalten: Auf der einen Seite jene, die ihren Fanatismus eingesehen und sich hinter Balthazar gestellt hatten, auf der anderen Seite jene, die den Tod ihrer Königin betrauerten. Die zweite Gruppe war nicht klein. Viele religiöse Fundamentalisten und hasserfüllte Extremisten vertrauten dem Unschuldstrinker, der als kompromisslos und prinzipientreu galt.
So gewinnt man die Macht: mit gefährlichen Kompromissen! , dachte Zelie wütend. Trotzdem war sie sich wohl bewusst, dass Demokratien oft auf diese Weise entstanden, auch wenn der Preis hoch war.
Die zunehmende Kälte sagte ihr, dass sie ihr Ziel bald erreicht hatte. Die Gemächer des Unschuldstrinkers befanden sich ganz unten im Burgfried in der Nähe des Kellers. Zelie kannte sich in diesem Teil der Festung nicht aus, daher orientierte sie sich an den kleinen Holzschildern, die an jeder Abzweigung angebracht waren. Sie brauchte nur der Aufschrift »Privatgemächer« zu folgen. Hier wohnten nur die hohen Würdenträger der Großen, und die meiste Zeit war der Unschuldstrinker sogar allein, da er die Gesellschaft anderer Politiker nicht ertrug. Seit seinem Amtsantritt hatte er bisher jeden Berater abgelehnt, den Balthazar ihm vorgeschlagen hatte.
Auch das ist verdächtig!
Die Fackeln verbreiteten einen beißenden Geruch und gaben ein leises Zischen von sich, das
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