ALTERRA: Die Gemeinschaft der Drei (PAN) (German Edition)
haben sich wieder mal vertan! Ich sag’s dir: Die sollten den Typen feuern, der für die Wetterprognosen verantwortlich ist. Man kann sich immer weniger darauf verlassen!«
Sein Vater war fröhlich und schien das alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Oder er will mich nur nicht beunruhigen, dachte Matt.
»Dauert so was lange?«
»Der Stromausfall? Das kommt darauf an, zwei Minuten oder auch zwei Tage, je nachdem, wie groß der Schaden ist. Mach dir keine Sorgen, während wir hier sprechen, rackern sich schon Dutzende von Technikern ab, um alles wieder in Ordnung zu bringen.«
Der Optimismus seines Vaters ging Matt auf die Nerven. So war es oft mit den Erwachsenen. Sie waren entweder zu optimistisch oder zu pessimistisch, aber ruhig und gelassen blieben sie selten. Das konnte man in Katastrophenfilmen bestens beobachten: Ein Teil der Leute schrie panisch und riss die anderen mit ins Unglück, die anderen hielten sich für unverwundbar und kamen nicht besser davon. Die wahren Helden waren jene, die es schafften, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Dinge mit dem nötigen Abstand zu betrachten. Waren die »Helden« dieser Welt diejenigen, die imstande waren, sich immer unter Kontrolle zu haben?
»Na los, das ist die Gelegenheit, die guten alten Horrorschinken rauszuholen«, sagte sein Vater. »Hast du keinen Stephen King, den du dir jetzt reinziehen könntest? Unter solchen Bedingungen wäre das eine unvergessliche Lektüre! Sonst müsste ich einen in meiner Bibliothek haben.«
»Ich habe alles, was ich brauche. Danke, Papa.«
Sein Vater musterte ihn einen Augenblick lang, ohne die Worte zu finden, die er seinem Sohn gern gesagt hätte. Beim Hinausgehen zwinkerte er ihm zu, bevor er die Tür hinter sich schloss.
Die Kerze verbreitete einen hellen gelben Schein. Natürlich war das ideal zum Lesen, aber darauf hatte Matt nicht die geringste Lust. Er war viel zu beunruhigt über das, was draußen vor sich ging. Er drehte sich wieder zum Fenster um.
Dicke Schneeflocken peitschten durch die Luft wie Jagdflugzeuge, die ihre waghalsigsten Manöver fliegen. Innerhalb weniger Minuten verschwand die Straße hinter einem dichten, wirbelnden Vorhang, und Matt erkannte gar nichts mehr. Ihm taten die Leute leid, die jetzt noch draußen waren und sich bei diesen Sichtverhältnissen nach Hause durchkämpfen mussten. Bestimmt sah man nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen!
Nach ein paar Stunden begann Matt sich zu langweilen. Er blätterte flüchtig in einem Comic. Später versuchte er, den Fernseher und das Radio einzuschalten, aber es gab immer noch keinen Strom. Der Schnee hingegen warf sich weiter in dichten Flocken gegen das Fenster.
Gegen Abend klopfte seine Mutter bei den Nachbarn, um sicherzugehen, dass alle wohlbehalten nach Hause gekommen waren, und um das Abendessen zu organisieren, denn in manchen der sechs Wohnungen auf ihrem Stockwerk gab es nur Elektroherde. Gas hatte doch so seine Vorteile, scherzte man im Flur. Alle ließen ihre Türen offen stehen, und so bildete sich bald eine Art nachbarliche Wohngemeinschaft.
Die Familie Carter aß mit Maât und den Gutierrez, dem pensionierten Ehepaar von nebenan, zu Abend. Auf ihrem Stockwerk wohnte niemand in Matts Alter, und sein einziger Freund im ganzen Gebäude verbrachte die Ferien in Kalifornien.
Matt blieb nicht lange am Tisch sitzen und wünschte allen eine gute Nacht. Maât verabschiedete sich zärtlicher von ihm als seine Eltern, die in ein Gespräch mit den Gutierrez vertieft waren. Er nahm im Vorbeigehen eine Schachtel Kekse mit und schloss sich in sein Zimmer ein. Verpflegung für den kleinen Hunger zwischendurch, eine Taschenlampe, falls er im Dunkeln zur Toilette musste, und ein ordentlicher Sturm, der für Abwechslung sorgte. Nachdem die anderen so unbekümmert reagierten, hatte auch Matt beschlossen, das Ganze nicht so eng zu sehen und es eher spannend als beängstigend zu finden. Sicher, der Blizzard war ungewöhnlich heftig, und er war früher als erwartet über sie hereingebrochen, aber das bedeutete noch lange nicht das Ende der Welt. Wenn sich in den letzten Tagen diese seltsamen Vorzeichen nicht gehäuft hätten. Der alte Verkäufer mit der Schlangenzunge, die gefräßigen Blitze, das war nicht ohne. Doch im Laufe der Stunden verblassten die Erinnerungen an diese Vorkommnisse immer mehr und kamen ihm schon weniger unheimlich vor. Es musste eine rationale Erklärung für das alles geben. Die Erwachsenen hatten irgendwas ausgeheckt,
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