Alterra. Im Reich der Königin
Fluss schlängelte sich durch Wiesen, Hügel und Wälder, ein unergründlich tiefer, dunkelgrüner Strom, der alle Schatten verschlang und das Sonnenlicht fing.
An Bord der
Charon
kletterten die Matrosen in die Wanten, um die Segel zu setzen. Der Kielwurm hatte sich zum Schlafen zurückgezogen, und das Schiff verlor deutlich an Geschwindigkeit.
Matt stand in der Hütte am Achterdeck und sah den Offizieren, die das Manöver überwachten, bei der Arbeit zu. Der spirituelle Berater war in seiner Kajüte, und Matt hatte gleich gemerkt, dass die Soldaten ihm nun weniger Aufmerksamkeit schenkten. Sie wussten, dass es lebensmüde war, ins Wasser zu springen, und ließen ihn unbeaufsichtigt an Deck herumspazieren.
Unter Segeln zu fahren erforderte mehr Einsatz, und so war jeder Seemann in den folgenden Stunden ganz mit seiner Aufgabe beschäftigt.
Matt sah seine Chance gekommen.
Er hatte im Vorderdeck eine Luke entdeckt, an der er seinen Erkundungsgang beginnen wollte. Wenn er sich unauffällig verhielt und nirgendwo zu lange herumschnüffelte, würde er Plusch hoffentlich davor bewahren können, seinetwegen leiden zu müssen. Es war ihm unerträglich, sie in den Händen der Zyniks zu wissen, und er hatte sich fest vorgenommen, sie zu suchen.
Falls er irgendwann fliehen würde, dann nicht ohne Plusch.
Unter Deck kannte Matt nur die Kajüten, die achtern lagen: seine eigene, gleich neben der Kabine des Beraters, und die der Offiziere. Es war unwahrscheinlich, dass Plusch dort festgehalten wurde. Wenn jedoch mittschiffs die große Luke offen stand, fiel etwas Licht in den Frachtraum im vorderen Teil des Schiffs. Matt hatte inmitten der Kisten und Fässer keinen Tierkäfig gesehen, aber in Richtung Bug schien es mehrere Kammern und Verschläge zu geben.
Da kam ihm die Luke im Vorderdeck gerade recht.
Er behauptete, sich die Beine vertreten zu wollen, und schlenderte zwischen den Taurollen an Deck herum. Die Offiziere diskutierten darüber, wie tief der Fluss in diesem Abschnitt war. Als sie gerade nicht hinsahen, klappte Matt schnell die Luke auf und kletterte hinunter.
Er hatte nicht viel Zeit.
Im Frachtraum war es stockfinster. Er tastete nach einer Packung Streichhölzer, die er neben einer Laterne entdeckt hatte, und zündete den Docht an.
Das Schiff fuhr so langsam, dass die Planken kaum ächzten und knarrten. Er durfte kein verdächtiges Geräusch verursachen.
Was soll’s, da muss ich jetzt durch.
Auf Zehenspitzen ging er zur erstbesten Tür. Sie war verschlossen.
»Das fängt ja gut an«, fluchte er leise.
Der nächste Verschlag war offen, enthielt aber nur Geräte und Werkzeugkoffer. Er wollte gerade auf die Treppe zusteuern, um ein Deck tiefer weiterzusuchen, als er jemanden hustend auf sich zukommen hörte.
Voller Panik machte er kehrt und kroch hinter einen großen Ballen Segeltuch. Er blies die Lampe aus und verwünschte den Gestank, den das Tierfett verbreitete. Wenn der Mann zu den hinteren Verschlägen wollte, würde er ihn entdecken.
Die Schritte wurden lauter.
Dann stieg der Mann zur Luke hinauf.
Matt atmete auf.
In der Ferne ertönten zwei Glockenschläge.
Der Wachwechsel,
dämmerte es Matt.
Ich muss zurück, der spirituelle Berater ist meistens beim Wachwechsel dabei.
Trotzdem wollte er noch schnell einen Blick hinter die Flügeltür werfen, die zum Vordersteven führen musste. Er schob sich hindurch und nahm einen vertrauten Geruch wahr, der sein Herz höherschlagen ließ.
»Plusch?«, sagte er leise.
An der gegenüberliegenden Wand bewegte sich etwas Großes, Schweres. Matt hob die Laterne und stürzte darauf zu.
Plusch war in einem Bambuskäfig eingesperrt und trug einen dicken grauen Verband um den Körper.
»Wenigstens haben sie deine Wunde versorgt«, flüsterte Matt mit Tränen in den Augen. »Wenn du wüsstest, wie sehr du mir gefehlt hast!«
Die Hündin schlabberte ihm übers Gesicht, als sei es eine leckere Kugel Eis. Da vernahm er von oben laute Rufe, ohne verstehen zu können, worum es ging.
»Ich muss los, aber ich verspreche dir, dass ich dich da raushole.«
Die Hündin begann zu winseln. Matt streichelte sie tröstend und drückte einen Kuss auf die feuchte Schnauze.
»Tut mir leid, ich kann nicht bei dir bleiben. Wenn sie mich hier finden, lassen sie ihre Wut an dir aus!«
Er kraulte seine Hündin ein letztes Mal am Kopf und wandte sich schon zum Gehen, als ihm plötzlich der Griff seines Schwerts ins Auge fiel. Neben dem Käfig lag seine gesamte Ausrüstung!
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