Altes Herz geht auf die Reise - Roman
und lauschte. Es würde gut sein zu wissen, wo er mit dem Geld blieb, es würde die Haussuchung vereinfachen. Aber er hatte die Joppe schon abgelegt, wirtschaftete in Hemdsärmeln, wer konnte ahnen, wo er das Geld gelassen hatte?
Aber was er jetzt tat, war schon eher zu begreifen. Es war ihm vielleicht sogar recht, daß sie es begriff: ein Riegel außen an ihrer Zimmertür. Jetzt nagelte er derbe Latten vor ihr Fenster. Ein Gefängnis, eine Zelle also … Nun gut, es würde zwei, drei Tage dauern. Dann war die Zeit herum. Dann würde er sie doch nicht mehr halten können, mit keiner Drohung, keinem Griff. Dann konnte sie dem Amtsgerichtsrat von dem Gelde erzählen.
Als sie von einem dieser Spähgänge zum Bett der Kranken zurückkehrte, sah die ihr mit offenen Augen entgegen. »Was macht er?« fragte sie leise.
»Er vernagelt mein Fenster«, antwortete Rosemarie.
Die Kranke schloß einen Augenblick die Augen. Dann sah sie Rosemarie wieder haßerfüllt an. »Du sollst machen, daß du wegkommst! Du bringst uns nur Unglück.«
Rosemarie antwortete nicht.
»Ruf ihn rein zu mir«, befahl Mali. »Ich will mit ihm sprechen. Unterdes läufst du fort.«
Rosemarie schüttelte den Kopf.
»Doch! Doch! Du mußt! Wenn du gehst, wird alles wieder gut.« Sie brach ab und sah Rosemarie mit bösem Blick an. »Nur Unglück«, flüsterte sie. »Ruf ihn jetzt!«
Rosemarie ging.
»Na, wie gefällt dir das?« höhnte Schlieker. »Glaube nicht, daß du noch mal wegkommst. He –? Was will sie denn? Sie soll warten. Ewiger Weiberquatsch …«
Aber Mali schrie jetzt so schrill, daß er doch kam.
»Was ist denn? Du hast wohl nicht warten gelernt? Allein? Ich soll sie unterdes melken schicken? – So dumm, daß sie uns wieder wegläuft. Krank, krank? Eure Anstellerei kenne ich. Und den Hanswurst von Doktor dazu!« Er strich sich wütend das Kinn, sah wütend auf Frau und Mädchen. »Was glotzt du, Dumme?!« schrie er plötzlich. »Hast du nicht gehört, daß du melken sollst –? Marsch, los mit dir in den Stall!«
Er ließ sie vorausgehen, einen Augenblick, als sie die Stallpantinen im Vorraum anzog, war sie allein. Dort am Riegel, neben ihrer Melkschürze, hing seine Joppe – sie konnte nicht anders, sie griff hastig danach: die Tasche war leer!
Im gleichen Augenblick kam Schlieker: Na, wird’s bald?
Und er sah nach ihrer Hand, der baumelnden Joppe. »So«, sagte er nur gedehnt, aber sie begriff, daß sie sich schon verraten hatte. Und ganz kurz: »Also komm melken!«
Sie gingen über den Hof, er wie ein Gefangenenwärter hinter ihr drein. Sie trat in den Stall, er blieb auf der Schwelle stehen. Als sie nach dem Melkschemel faßte, hörte sie ihn sagen: »Du brauchst dich nicht zu melden, Marie, wenn du mit Melken fertig bist. Wir haben es mit der Milch nicht so eilig – ich hol dich schon.« Er wandte sich zum Gehen. »Daß du’s weißt und dich wüten kannst: Jetzt verbrenne ich die Brieftasche und das Portemonnaie. Dem Geld sieht keiner an, woher es kommt. Gans!«
Er lachte höhnisch und schlug die Tür zu. Sie hörte den Vorstecker klirren, nun war sie gefangen. Sie stand gegen die Futterkiste gelehnt, regungslos, ohne eine Träne. – Vergeblich, alles vergeblich. Sie entrann ihm nicht. Er hatte so recht, sie hatte keine Waffe mehr gegen ihn in Händen, er, der zu allem entschlossen war, war tausendmal stärker als sie. Sie war gefangen, und sie würde immer seine Gefangene bleiben. Vielleicht, in einer endlosen Zeit,die nicht abzusehen war, würden die Herren doch einmal einsehen, daß Schliekers nicht die rechten Pfleger für sie waren – aber dann war es zu spät. Es war jetzt schon zu spät. Es war alles verdorben.
Aus den Gestalten, die um sie gewesen waren in diesen vier Tagen, hob sich am deutlichsten die Figur des alten Professors ab – am deutlichsten und am bedeutendsten. Er hatte recht gehabt, er, der weltunkundige, unbeholfene, lächerliche alte Mann, er von allen allein hatte recht gehabt. Es ging auf dieser Erde doch nur mit der »Wahr heit «! Hätte sie nicht die alberne Idee gehabt, Schlieker zu überlisten, den Fuchs in der Falle des gestohlenen Geldes zu fangen – sie wäre nicht in dieses Haus zurückgekehrt, sie wäre noch frei. Nun war die Falle zugeschnappt, aber sie war die Gefangene!
Lange, lange stand sie so an der Futterkiste, leise kam die Dämmerung. Sie hatte es nicht eilig mit dem Melken, sie wußte ja, er würde sie nicht so bald holen. Die eine Kuh, die andere Kuh, sie drehten
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