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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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hat natürlich nur das übliche Schloß, und Sie vergessen ziemlich häufig abzuschließen?«
    »Manchmal …«
    »Natürlich. Und Ihre Wohnungstür ist nicht gesichert. Lieber Herr Professor, es ist jetzt gleich ein Uhr …«
    »Ja, es ist schon spät, ich muß zu meinem Patchen …«
    »Nein, Sie werden heute nicht zu Ihrem Patchen kommen, Sie werden nach Berlin fahren …«
    »Herr Amtsgerichtsrat«, flehte der alte Mann die Autorität an. »Rosemarie ängstigt sich sicher um mich, und ich sehne mich auch nach ihr …«
    »Wir schicken ihr Nachricht. Sie ist gut aufgehoben, man kümmert sich um sie. Ich werde Ihnen gleich alles, was geschehen ist, ausführlich im ›Erbherzog‹ beim Essen erzählen. Jetzt ist die Hauptsache das Geld. Lieber Herr Professor, dieses Ihr Geld, das löst alles, das hilft der Rosemarie zu schönen Jugendjahren, zu einer guten Ausbildung, zu einem schuldenfreien Besitz – und da sehe ich esgewissermaßen auf der Straße liegen, eine solche Summe, Tausende, Zehntausende. Der nächste Klingelfahrer braucht nur davon zu hören …« Amtsgerichtsrat Schulz schloß, ernstlich geängstet, die Augen.
    »Klingelfahrer –?« fragte der Professor.
    »Ja, ein Ausdruck von uns, eine Art Wohnungsdieb – Herr Professor, ich verspreche Ihnen, ich suche selbst Ihr Patenkind heute noch auf, berichte ihm alles. Aber Sie fahren heute noch nach Berlin, beheben morgen früh auf der Kasse, sagen wir zweitausend Mark, und kommen dann mit Geld und Sparbuch hierher …«
    »Zweitausend Mark«, sagte der Professor. »Ich müßte mir die Zahl notieren …«
    »Tun Sie das, schreiben Sie es sich auf der Stelle auf, hier ist Papier, eine Feder … Ach, lieber Herr Professor, versprechen Sie mir, seien Sie achtsam. Lassen Sie keinen Menschen Ihr Sparbuch sehen …«
    »Aber auf der Kasse …«
    »Natürlich, freilich, auf der Kasse, da müssen Sie es schon sehen lassen. Warten Sie, zeigen Sie, Sie müssen mir schon verzeihen, sind Ihre Taschen heil –?«
    Bis nachmittags um halb fünf, bis der Zug abfuhr, ließ der Amtsgerichtsrat Schulz den alten Professor nicht los. Professor Kittguß mußte so viel über Geld hören wie noch nie in seinem ganzen Leben, die Art, wie man Geld aufbewahrte, die Art, wie man Geld verlor, die Art, wie man um Geld betrogen wurde … Und doch – trotz aller eindringlichen Belehrungen – mußte es Amtsgerichtsrat Schulz noch erleben, daß sein weißhaariger Schüler am Kleinbahnhof in Kriwitz eine Fahrkarte nach Berlin forderte, mit ruhiger, ernster, würdiger Stimme, und mit der Fahrkarte zur Sperre entschritt, ohne einen Versuch zu zahlen … Und als er brüllend zurückgeschrien wurde und schuldbewußt in den Taschen nach Geld suchte, da warkeines da – denn daran hatten sie beide, Lehrer wie Schüler, nicht gedacht, daß gar keines dasein konnte, weil nämlich Rosemarie …
    Amtsgerichtsrat Schulz half aus, in unerschütterlicher Ruhe bestieg Professor Kittguß den schon drei Minuten auf ihn wartenden Zug und entfuhr nach Berlin.
    »Ja, nun habe ich zwei unter Vormundschaft«, sprach Amtsgerichtsrat Schulz zu sich. »Und wer der Schlimmere von beiden ist, das weiß ich auch.«

20. KAPITEL
    Worin Rosemarie all ihre Freunde verliert
    Wir müssen unsere Uhr zurückstellen: in Unsadel ist es an diesem Tage erst früher Nachmittag. Aber die Zeit ist Doktor Kimmknirsch doch sehr lang geworden, seit das feige Ding, die Rosemarie Thürke, entlaufen ist.
    »Es ist seltsam«, denkt der junge Arzt, »wie rasch man an einen Menschen glauben lernt und wie schwer und langsam man diesen Glauben wieder aufgibt.« Aber nun hat er es getan, jetzt ist es vorbei. Es hilft nichts, da gibt es keine Entschuldigungen, es ist schmählich, von solcher Kranken fortzulaufen, es ist schmachvoll und feige, das wäscht ihr kein Regen wieder ab. Sie ist erledigt für ihn, er ist durch mit ihr, nun und immer, Schluß.
    Die Kranke rührt sich wieder, sie flüstert etwas, er faßt nach ihrem Puls, aber er weiß schon, der Puls ist in Ordnung, es ist etwas anderes. Es ist der Kopf, es ist das Hirn, es ist Angst. Ihr Geist ist abwesend, er wandert, flieht vor diesem Leben, das ihm untragbar schwer erscheint. Es braucht gar nicht verständlich zu sein, was sie flüstert, man hört auch so, um was es geht, und es war auch oft genugverständlich. Kimmknirsch hat dem Mann, wenn er zurückkommt, einiges zu sagen. Brom und Luminal, gewiß, aber vor allem ein Leben ohne Erregungen, ein stilles, vorsichtiges Leben im
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