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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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Windschutz … Und dabei dieser Mann, diese muffige Höhle –!
    Doktor Kimmknirsch – am Anfang seiner Laufbahn – sitzt am Bett der ersten Patientin und kann schon Betrachtungen anstellen, wie weit die Kraft eines Arztes reicht. Luminal und Brom, ein bißchen Beruhigung und Vergessen, aber ein Wort des Mannes wiegt schwerer als der ganze Doktor Kimmknirsch mit all seinem Wissen, all seiner jugendlichen Begeisterung …
    Eine Tür hat geklappt, ein rascher Schritt ist erklungen, Rosemarie steht, rasch atmend, mit geröteten Wangen im Zimmer.
    Er sieht zu ihr auf, dann bezwingt er sich und blickt auf die Uhr. »So, sind Sie doch wieder da? Haben Sie es sich noch einmal überlegt? Wollen Sie mich etwa ablösen?«
    Unter seinen bösen Worten verändert sich ihr Gesicht wie von einem Schlag, es wird blaß, ihre Lippen öffnen sich, ihre Augen weiten sich. »Ich …«, flüstert sie.
    »Es muß stets einer bei der Kranken bleiben; wenn sie wach wird, ist sie vielleicht nicht ganz bei Bewußtsein. Man weiß nicht, was sie tun wird, jedenfalls darf sie nicht aus dem Bett. Wird sie sehr unruhig, geben Sie ihr gegen Abend noch diese Tabletten. Nicht eher.« Er ist aufgestanden und sieht sie kühl an.
    »Herr Doktor«, bittet sie. »Ich hatte solche Angst um den Professor! Ich mußte nach ihm sehen.«
    »Soviel ich verstanden habe, ist der Professor ein recht rüstiger Mann, dies hier ist eine Kranke«, antwortete der junge Arzt kühl. »Morgen früh sehe ich wieder nach.«
    Er überlegt, aber die Bitterkeit seines Herzens will ihr nicht einmal den härtesten Schlag ersparen: »Kann ich damitrechnen, daß Sie dann noch hier sind, oder werden Sie wieder unterwegs sein?« Er sieht sie böse an.
    Sie ist zusammengezuckt unter dem Schlag, aber jetzt ist sie wieder ruhig. Nein, sie ist nicht weichlich, sie wird nicht weich, sie wird hart, wenn man sie schlägt. »Ich kann es noch nicht bestimmt sagen, Herr Doktor«, antwortet sie leise, aber sehr deutlich. »Jedenfalls danke ich Ihnen für alle Freundlichkeit.«
    Sie sieht ihn an, sieht ihn an – und wendet sich ab.
    Der Doktor Kimmknirsch – sechsundzwanzig Jahre steht noch einen Augenblick wortlos und geht dann rasch aus der Stube.
    Sie bleibt in der Haltung, in der er sie verließ, das blaß gewordene Gesicht gesenkt, und wartet. Es vergeht eine lange, lange Zeit, schon will ihr Herz wieder Hoffnung fassen, schon denkt sie, er ist nicht endgültig gegangen, er wartet draußen auf ein Wort von ihr.
    Da ertönt lauter und lauter werdend das Pochen des Motors, nun hört sie das Knirschen beim Einschalten des Getriebes, der Motor singt und stößt, schon ferner, schon leiser … Sie ist allein. Sie nimmt ihren Mantel, geht in ihre Stube und hängt ihn in den Schrank. Die leeren Fächer sehen sie an, sie denkt flüchtig an das in der Sandgrube versteckte Wäschepaket – sie wird es heute noch holen und einräumen müssen, sie bleibt ja jetzt wieder hier. Zwar hat sie einen entscheidenden Trumpf in der Hand: endlich kann sie dem ungläubigen Amtsgerichtsrat beweisen, daß Schlieker gestohlen hat, diese Pflegschaft ist sie endgültig los – aber was kommt dann? Der Professor, nun gut, der Professor … Er ist jetzt verschwunden, aber er wird wieder auftauchen, vielleicht wird er sogar bereit sein, hierher zu ziehen. Aber was gestern noch mit Geld und Glück überschimmert war, ist heute grau.
    »Ja, und was dann?« fragt die Sechzehnjährige sich zumerstenmal. Es genügen nicht mehr Ruhe und Geborgenheit, nicht mehr freundliche Menschen zum Umgang und ein wieder aufblühender Hof – aber was genügt dann?
    Sie schließt die Schranktür und geht in die Küche. Sie hat noch mindestens eine halbe Stunde Zeit, bis Schlieker kommen kann. Sie ist dem mühseligen Geher mit ihren raschen Beinen weit vorausgekommen, aber sie hat auch noch viel zu tun. Sie ist traurig und mutlos, aber ihren Plan führt sie durch.
    Sie macht schnell Feuer im kalten Herd, sie setzt Schweinekartoffeln auf, aber sie schält auch Kartoffeln für die Menschen. Sie bereitet alles für eine Speckstippe vor, das genügt als Essen.
    Dazwischen geht sie immer wieder zum Fenster und schaut nach Schlieker aus. Sie möchte, daß er ahnungslos in die Küche tritt, daß er, den vollen Bettbezug auf dem Rücken, sie vorfindet; sie hofft, sein schlechtes Gewissen wird dann die Entlarvung leichter machen. Eine kleine Waffe in ihrer Hand, herrenloses Gut, diese Lebensmittel, aber doch eine kleine Waffe!
    Die große Waffe,
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