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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Gurgeln, ein hohles Gurgeln. Dann schnaufte es. Eine Weile war es still, und nun setzte das Gurgeln wieder ein und – es war unheimlich anzuhören – wurde zum Röcheln. Die beiden standen Hand in Hand.
    »Im Namen Gottes …«, sprach der Professor halblaut und rührte beschwörend die Hand.
    »Da schläft einer«, flüsterte das Weltkind Rosemarie. »Sicher ein Stromer, der sich eingeschlichen hat. Hast du Streichhölzer?«
    Er hatte keine.
    »So muß ich welche suchen. Ungefähr weiß ich hier auch im Dunkeln Bescheid. Steh ganz still, Pate, was auch geschieht, es kann eine Weile dauern.«
    Der gute Professor Kittguß stand allein in der Schwärze, die weiter schnaufte, gurgelte, sterbend verröchelte. Wohl war ihm wieder einmal nicht zumute. Es war fast wie im Schliekerschen Kohlenstall gestern abend, nur daß es jetzt noch schlimmer war, denn der Kohlenstall war durch den Besitzer legalisiert gewesen, während hier …
    »Rosemarie?« fragte er sacht.
    »Pssst!« kam es zum Erschrecken scharf aus nächster
    Nähe.
    »Ich wollte doch bloß fragen …«, bat er.
    »Pssst!!!«
    »Aber, Rosemarie, ich muß doch wissen …«
    »Pssssssst!!!«
    Er war völlig verzweifelt, illegal … und nun noch dies Röcheln … Was war hier ordnungshalber zu tun? Plötzlich fiel etwas laut um, das Röcheln brach ab, in die eintretende Stille fluchte Rosemarie: »Au verdammt!«
    Fluchen –! Er wollte das rügen, aber er kam nicht dazu. Denn schon wieder fing dies schreckliche Röcheln und Gurgeln an, auf das er horchen mußte, wie verzaubert …
    Endlich, nach qualvoll langer Wartezeit glomm ein Flämmchen auf, es wurde heller. Mit einer Kerze kam Rosemarie auf ihn zu.
    »Jetzt, Pate!« sagte sie und nahm ihn bei der Hand.
    Sie näherten sich behutsam dem erschreckenden Nachtgeräusch.
    »Wenn es ein Stromer ist, wird er mehr Angst vor dir als vor mir haben, Pate.«
    »Furcht, nicht Angst«, verbesserte der alte Lehrer.
    »Das ist doch gleich«, flüsterte sie.
    »Nein, es ist nicht gleich«, beharrte der Professor. »Vor den Dingen dieser Erde haben wir Furcht, aber …«
    »So komm schon, Pate«, mahnte sie ungeduldig und stieß mit dem Fuß auf. »Ich will endlich wissen … Denkstdu denn, ich bin
so
mutig?! Aber wenn es ein Stromer ist, schmeißt du ihn einfach raus!«
    Es war kein Stromer … Sondern im unbezogenen Wandbett lag, selbst jetzt im Schlaf die Arme vor dem Gesicht, als sei nicht einmal sein Schlaf vor Schlägen sicher – lag Philipp Münzer. Lag da, ihr Nacht- und Schreckgespenst, und eine ganze Weile standen sie stumm und sahen auf ihn hinab.
    »Philipp!« flüsterte dann Rosemarie. »Mein guter Philipp!«
    »Philipp!« flüsterte auch der Professor, und das arme Narrengesicht mit dem blaugeschlagenen Auge schien ihm in dieser Stunde etwas Schönes, denn eine Last war von seiner Seele genommen. »Bist du denen nun doch weggelaufen –?«
    Der Schläfer bewegte sich, vom Kerzenschein beunruhigt. Er zog einen Arm dichter gegen die Augen und war doch schon hell wach, wie ein Waldtier, das stets zur Flucht bereit sein muß.
    Schon wollte er aufspringen, doch da rief Rosemarie mit gemachter Strenge: »Philipp! Legt man sich mit Kleidern ins Bett?! Und gar mit schmutzigen Schuhen!?! Philipp, wann hast du dich das letzte Mal gewaschen? Philipp, Schmutzbartel …«
    Aber längst war der Narr zu ihren Füßen, längst hatte er ihre Hände gegen seine Brust gedrückt. Der arme Junge, er konnte auch sonst kaum sprechen, es war nur Stammeln, abgerissene Wortfetzen höchsten Entzückens, tiefster Dankbarkeit: »Min Deern! Min lütt söt Mäten! Büst du dor? Ick heff all orntlich makt. Ich heff den Herrn funnen, he hett den Breef lesn …«
    Jawohl, davon vergaß er zu sprechen, was er ausgehalten, er gelitten hatte. Er fragte sie stammelnd, ob sie böse gewesen seien mit ihr, die Schliekers, ob sie alles Wasserallein habe tragen müssen, ob das Holz gereicht habe, das er in Vorrat gehauen. »Wat rauh sin din Hän’n …« Sicher habe sie immer allein waschen müssen und spülen im kalten See: »Un ick wär nich utreten, min Deern, wärst du dor west. Doch wie ich gesehen habe, du bist weg, da bin ich auch weggelaufen, hier in den alten Kuhstall – und nun bist du doch da!«
    Er sah sie strahlend an, armer Narr, der er war, ein Zukurzgekommener des Lebens – von der ersten Kindheit an. Zu kurz gekommen – dieser arme Dorftrottel trug eine solche Liebeskraft im Herzen –: der Professor mußte, ob es auch Sünde war, des

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