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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zu sehen. Aber es war nichts zu sehen als eben Steg und See. Weiß der Himmel, was sie eigentlich erwartet hatten! Als könnten die Kindlein vom Himmel gefallen hier aufgereiht liegen – aber nichts, nichts, nichts!
    »Und wo haben Sie Ihren Kahn, Herr Schlieker?« fragte der Gendarm mutlos.
    »Meinen Kahn? Den habe ich meinem Vetter in Biestow geliehen. Der holt Holz mit ihm vom Biestower Warder.«
    »Na schön«, sagte der Gendarm ergebungsvoll. »Sie müssen’s ja wissen. Aber daß ich mir heute abend nochIhren Kahn in Biestow zeigen lasse, darauf können Sie … Halt, Junge, was hast du da?«
    Denn während er sprach, hatte Philipp, soweit es ihm das Kettchen erlaubte, sich zur Wasserkante gedrängt, und nun hatte er sich gebückt, und nun hob er’s auf, und siehe, es war ein kleiner Kinderschuh, blauer Samt mit weißen Pünktchen.
    »Herr Schlieker, ich frage Sie, wie kommt der Kinderschuh an Ihre Bootsstelle?« fragte der Gendarm feierlich, denn nun hatte er ein Indiz!
    Aber der Schlieker antwortete nicht mit Worten, sondern mit Taten, für dieses Mal war ihm die Galle doch übergelaufen und die lange geübte Verstellungskunst verlorengegangen.
    »Das werde ich dir weisen, verfluchter Spion!« Damit drang er auf den Jungen ein und mit ihm seine Frau, und die Schläge fielen hageldicht auf den armen Philipp, der unter ihrer Wucht und dem Anprall wankte.
    Und weil er doch mit dem Gendarmen verkettet war, kam auch der ins Wanken, und Schläge bekam der auch, mit Absicht oder ohne, es war nicht zu protokollieren.
    Er fluchte und hob die Hand, und Schulze Gottschalk sprang schlichtend dazwischen und machte es noch schlimmer. Nur die Schwestern schrien bloß aufgeregt, bis auf die Bärbeißige, die stumm Frau Schlieker von hinten festhielt.
    Plötzlich aber fuhr aus all dem Geschrei und Gedräng und Geprügel eine zum Kratzen gekrümmte Hand auf des Gendarmen Gesicht zu, und als der die eigene zur Verteidigung hob, rutschte ihm der Knebel des Kettchens fort. Kaum aber merkte der Junge das, so schoß er wie eine Flintenkugel davon, einige zu Fall bringend, anderen zwischen den Beinen hindurch – und schon kletterte er über einen Zaun, lief durch einen Obstgarten, verschwand hinter Büschen, tauchte noch einmal auf, ferne schon am Waldrand.
    »Da geht er hin!« sagte der Wachtmeister und ärgerte sich fast gar nicht.
    »Haltet ihn! Haltet ihn!« rief der Dorfschulze und sperrte den Mund auf.
    »Komm du bloß wieder!« drohte Päule Schlieker ingrimmig und rieb sich das Schienenbein, gegen das der verfluchte Bengel bei seiner Flucht mit aller Kraft getreten hatte, ob mit oder ohne Absicht, war wiederum nicht zu protokollieren.
    »Sie werden mir mein Kleid bezahlen!« schrie Mali Schlieker Schwester Adelaide an.
    Dann standen sie alle und starrten nur noch, der Junge war in dem herbstlich bunten Wald untergetaucht, und keiner hatte auch nur einen Schritt zu seiner Verfolgung getan.
    »Den sehen wir so bald nicht wieder«, sagte der Gendarm ahnungsvoll. »Und den Kinderschuh, mein Indiz, hat der Bengel auch noch mitgenommen! Es hat ihn doch keiner –?«
    Nein, keiner hatte ihn.
    »Gehen wir also hinauf in Ihre Stube, Herr Schlieker, und nehmen ein Protokoll auf. Raus ist das aber lange noch nicht, daß ich nicht Sie statt des Jungen am Kettchen mitnehme.«
    »Was Sie mir beweisen können, darauf bin ich wirklich gespannt«, sagte der unverbesserliche Päule. »Ich habe das Mädchen mit den fünf Bälgern zum Amt geschickt, und so können Sie mir gar nichts wollen. Warum soll nicht mal ein Schuh am Wasser liegen? Haben Sie ’ne Ahnung, wie bummlig die Marie Thürke ist?!« Und damit sah er im Weggehen noch einmal nachdenklich auf den See hinaus. Dort war aber wirklich nichts zu sehen als das Übliche: Wasser, Schilf und ein paar Enten.
    »Wohin fahren wir, Pate?« hatte das junge Mädchen den alten Mann gefragt, als es mit zwanzig Ruderschlägen denKahn um eine Schilfecke und damit aus Gesicht und Gehör der scheltenden Frau auf dem Steg gebracht hatte.
    »Ja, wo fahren wir hin, mein Kind?« hatte der Professor dagegen gefragt und die Hand gegen den schmerzenden Leib gepreßt. »Sieh einmal, Rosemarie«, sagte er mühsam weiter. »Ich bin ein alter Mann, ein sehr alter Mann, und bedarf der Ruhe und eines gewissen Grades von Behaglichkeit. Vor einer halben Stunde habe ich noch gedacht, es käme alles in Ordnung, und nun ist es wieder so heillos verwirrt; ich weiß eigentlich gar nicht, warum und wieso …«
    Er fuhr

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