Altes Herz geht auf die Reise - Roman
was es mit diesem alten Waldhaus auf sich hat, mein Kind! Von den zwei Welten und daß du in keiner von ihnen zu Haus bist (denn du bist auch in der zweiten nicht zu Haus), davon wollen wir später sprechen.«
Damit legte er ihr die Hand aufs Haar und fühlte, wie erleichtert sie war, und sie sagte jetzt auch rasch und fröhlich: »Das ist alles ganz einfach, Pate. Wir dürfen wirklich hiersein, wenn ich auch nicht gefragt habe. Als ich noch bei den Gaus Pflegekind war, kamen jeden Sommer Gäste zu ihnen, ein Berliner wie du, Pate, aber mit seiner Frau – vielleicht kennst du ihn, Vogel heißt er …«
»Nein, Berlin ist sehr groß, Rosemarie, viel größer, als du denken kannst.«
»Aber vielleicht hast du von ihm gehört. Er hat eine Fabrik und ein Automobil, das erste Automobil, das ich in meinem Leben gesehen habe! Sicher hast du von ihm gehört, Pate!«
»Nein – nein. Ich kenne nur sehr wenige Menschen in Berlin.«
»Ich dachte«, sagte sie ein wenig enttäuscht, »weil er doch eine Fabrik und ein Automobil hat.«
»Diese Motorwagen kommen immer mehr auf«, sagte der Professor mißbilligend. »Man muß auf der Straße so aufpassen. Manchmal verstehe ich unsere Obrigkeit nicht. – Nun, erzähle weiter, mein Kind!«
»Herr Vogel angelt immer auf dem See, aber die Fische braucht er gar nicht, er ißt keine Fische, sagt er, er verschenkt sie bloß, an Gaus und im ganzen Dorf. Und Frau Vogel badet immer, auch im See, denke dir, und sie kann schwimmen. Jeden Tag tut sie das, und hinterher liegt sie stundenlang in der Sonne – komische Leute gibt es.«
Sie saß nachdenklich.
»Und was ist es mit dem Waldhaus?« mahnte der Professor.
»Ja, richtig«, sagte sie und verließ die Erinnerung an den Badeanzug von Frau Vogel, rot mit weißem Besatz und einem langen Rock, der abgeknöpft werden konnte, es aber nicht wurde, denn wir schreiben das Jahr 1912 – sie wußte nicht, war er nun sehr unanständig oder sehr schön.
»Unsadel hat den Vogels schon gefallen«, fing sie wieder an, »aber Gaus gar nicht. So haben sie denn von ihnen denalten, verlassenen Kuhstall hier im Walde gepachtet und haben ihn ausbessern und den Kamin einbauen lassen …«
»Dat Dack …« ließ sich Philipp mahnend vernehmen.
»Wie –?! Ja, du hast recht, Philipp, das Dach haben sie auch neu decken lassen und die schönen Möbel hergeschafft – sie sagen, es ist doch nur altes Gerümpel, das ihnen auf dem Boden herumstand. Ja, und so ist denn der alte Kuhstall geworden, was er jetzt ist, und vom ersten Oktober bis ersten April kommen sie nie her, und so können wir hier ganz ungestört wohnen …«
»Ja«, sagte der alte Professor, »das wissen wir nun, Rosemarie, daß wir hier ungestört wohnen, aber
dürfen
wir hier auch wohnen?«
»Och!« machte sie nachdenklich. Aber dann sagte sie ganz schnell: »Und doch dürfen wir hier wohnen! Vogels haben wohl gesehen, wie schlecht Gaus zu mir waren, und wenn es nur irgend ging, haben sie gefragt: ›Frau Gau, kann uns die Rosemarie heute ein bißchen helfen? Wir bezahlen es auch.‹ Dann durfte ich, und Frau Vogel sagte: ›Setz dich fein still hin, Rosemarie, und stopf deine Strümpfe. Mein Mann mag ruhig das Wasser tragen und Holz hauen, das tut seinem Bauch besser als deinem Rücken.‹ Dann hat er geschimpft, aber nur so, bis sie lachen mußte. Sie haben sich überhaupt nie richtig gestritten, sie haben bloß miteinander gelacht – gibt es das überhaupt, Pate, Eheleute, die nicht streiten?«
»Natürlich gibt es das, Rosemarie«, sagte der Pate erschrocken. »Das weißt du doch gut. Denke einmal an deine lieben Eltern oder an den Bauern Tamm hier im Dorf.«
»Tamm –?« fragte Rosemarie gedehnt. »Wo
er
alles verschwendet und
sie
muß jeden Pfennig sparen? Und die Eltern …«
»Rosemarie«, sprach der Pate streng und richtete sich im Sessel steil auf. »Du kennst doch das vierte Gebot?«
»Ja, Pate«, antwortete sie gehorsam, und es schien, als wollte sie nicht weitersprechen. Aber dann sagte sie doch: »Es ist doch so, Pate,
es ist doch so
! Ich weiß noch genau, wie oft Mama geweint hat, wenn Papa wieder Geld verschenkte oder auslieh, weil er nicht nein sagen konnte. Es ist doch so!«
»Du irrst dich, Rosemarie«, sagte der Professor eindringlich. »Ich kenne doch meinen Freund Thürke. Du irrst dich bestimmt.«
Rosemarie schwieg.
»Und ist es nicht gut, mit seinem Geld andern Menschen zu helfen?« fragte der Professor wieder.
»Wenn es aber gar keine Hilfe ist,
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