Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Jungen Georg einen »wirklichen« Doktor zu machen, und bei der Erfüllung dieses Wunsches hatte er, der wie ein rechterLandmensch jeden Pfennig umdrehte und jede Mark ängstete, ehe er sie ausgab, nie mit dem Gelde geknausert.
So wandelte denn Doktor Georg Kimmknirsch der Jüngere nun durch Kriwitz’ Gassen und Auen, zahlte zur Überraschung aller an jedem Ersten pünktlich die Miete, aß mittags im »Erbherzog«, hielt sein Schwätzchen mit Herrn oder Frau Stillfritz (und erfuhr dabei mancherlei Nützliches über Land und Leute) und ließ sich durch etliche gutmütige Stichelreden am abendlichen Stammtisch nicht die Spur aus der Ruhe bringen.
Wenn ihn etwas störte, war’s der Mangel an Arbeit, aber schließlich hatte er die dicksten wissenschaftlichen Werke in seinen Schränken stehen, und so saß er denn auch an diesem stillen Oktoberabend über seinen Büchern und dachte nichts anderes, als daß sein Leben erst einmal so weitergehen würde – bis zur nächsten großen Influenzaepidemie etwa; wenn er überhaupt darüber nachdachte.
Aber so lange brauchte Doktor Kimmknirsch nun nicht mehr auf den ersten Patienten zu warten, denn der stieg grade jetzt unten vom Wagen, und Mali tröstete: »Jetzt hast du es gleich überstanden, Päule!«
Worauf er wütend antwortete: »Was ich wohl überstanden habe, wenn ich zu dem Knochenschuster gehe! Denn ob er überhaupt was kann, weiß keiner. Wir wollen nur hoffen, daß er wenigstens nicht so neugierig wie der alte Geheimrat ist.«
Da hatten Schliekers es nun schlecht getroffen. Denn neugieriger noch als der Geheimrat war sicher Frau Postdirektor Bimm, die ihnen die Tür aufmachte. Sie sah die beiden sehr prüfend an und wollte sich gar nicht recht zu einer Meldung bei Herrn Doktor entschließen. Und als sie schließlich doch meldete, meldete sie »zwei Leute«, machte aber dabei eine heftige und kaum mißzuverstehende Gebärde, als seien es gerade keine guten Leute.
Aber der Herr Doktor wollte sie doch empfangen. Er schaltete sogar das Deckenlicht ein, und so hatte er gleich eine gute Aussicht auf die beiden Besucher.
Den Mann sah er zuerst, denn er war zuerst eingetreten, und der sah mit blaugeschlagenem Auge, geschwollener Nase und blutrünstiger Lippe so aus, daß der junge Arzt unwillkürlich rief: »Oho! Oho! Da hat es aber Kloppe gegeben!«
»Geben Sie mir das schriftlich?« rief der Besucher rasch.
»Daß Sie Schläge bekommen haben?«
»Daß ich mißhandelt worden bin, junger Mann!« sagte Päule wütend.
»Dazu müßte ich erst wissen, wie Sie gehandelt haben«, antwortete der Arzt kühl. »Im übrigen bin ich kein junger Mann, sondern der Herr Doktor Kimmknirsch!«
»Und einen feinen Namen haben Sie da erwischt«, sagte Päule, fest entschlossen, sich von diesem Hungerleider nicht imponieren zu lassen. »Fast so schön wie meiner. Ich heiße nämlich Schlieker.«
»Schlieker?« fragte der junge Arzt, und ihm fiel ein, was er heute mittag im »Erbherzog« von Frau Stillfritz gehört hatte. »Schlieker aus Unsadel?«
»Derselbige«, nickte Schlieker. »Sie haben also schon von mir gehört. Da werden Sie wissen, daß ich mir so was nicht gefallen lasse, und darum verlange ich ein Zeugnis von Ihnen und eine genaue Untersuchung, denn zahlen soll der Kerl …«
»Das müssen Sie vor Gericht anbringen«, sagte Kimmknirsch. »Ihre Untersuchung und Ihr ärztliches Zeugnis sollen Sie bekommen – aber erst ist hier die junge Frau wichtiger. – Sie haben heute einen Anfall gehabt?«
»Nein so was!« rief Schlieker, nun doch verblüfft. »Woran sieht man denn das?!«
Aber dann war er still und ließ die beiden reden, dennallmählich imponierte ihm nicht nur das feierliche Ordinationszimmer, ganz in Weiß und mit schimmernden Glasscheiben und blitzenden Geräten (ganz anders wie beim alten Geheimrat), sondern auch der Arzt mit dem klaren, ernsten Gesicht und den durchdringenden, ruhigen, hellen Augen.
»So, nun nehmen Sie einmal das«, sagte Kimmknirsch schließlich und gab Frau Schlieker ein Glas. »Und am besten bleiben Sie erst eine Woche im Bett liegen …«
»Herr Doktor!« unterbrach Schlieker. »Wie soll sie das denn machen?! Wir haben Vieh, und sie muß Essen kochen und …«
»Herr Schlieker«, unterbrach nun wieder Kimmknirsch. »Ich verordne, was ich für richtig halte – das ist meine Sache. Und Sie tun von meinen Verordnungen das, was Sie für richtig halten – das ist wieder Ihre Sache. So, und nun machen Sie einmal Ihren Oberkörper
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