Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Faulmann, kurz Geheimrat genannt, und neuerlich dazu noch den Doktor Georg Kimmknirsch, meist gar nicht genannt.
    Eigentlich bot Kriwitz mit seinen achtzehnhundert höchst langlebigen Einwohnern und einer ländlichen Umwelt, die womöglich noch widerstandsfähiger war, schon
einem
Arzt kein zu reges Betätigungsfeld. Eigentlich hatte schon der alte Geheimrat allein ein gar zu beschauliches Dasein führen müssen, und Goldfäden aus dem ländlichen Stroh seiner Ärztekunkel zu spinnen war ihm nicht geglückt. Er hatte sich und seine Familie eben grade so durchgeschlagen und hatte sie ja auch schließlich alle jedesmal satt gekriegt mit seiner Neigung, ihnen die vorzüglichen Agrarprodukte der Gegend als Abschlag aufs Honorar mitzubringen: Enteneier, zwei Honigwaben, einen frischgeschossenen Hasen, einen Korb Himbeeren und einmal sogar – bei einem bösartig an Nichtzahlen erkrankten Patienten – ein fettes Kalb, das ihm allerdings in seinem Kutschchen rechten Kummer mit unverständigen Kapriolen gemacht hatte.
    Was wollte es da also heißen, daß eines Tages bei Frau Postdirektor Bimm ein weißes Emailleschild mit der Inschrift hing:

    Dr. Georg Kimmknirsch
    Prakt. Arzt u. Geburtshelfer
    Sprechst. 6 –11 u. 4 – 6 –?!

    Gar nichts wollte das heißen! Die Kriwitzer in und außer der Stadt zogen die Schultern hoch und grinsten.
    Zweimal Sprechstunde am Tage – sonst kann er es wohl nicht schaffen. He –??!
    Und ein richtiger Porzellanknopf zu einer richtigen elektrischen Glocke, wo doch jeder weiß, daß man beim alten Geheimrat am zweiten Fenster Parterre gegen die Scheiben zu klopfen hat. Der geht bald wieder …
    Aber Doktor Kimmknirsch ging nicht bald wieder. Ob er Patienten hatte oder nicht (natürlich nicht) – ob er sich darüber ärgerte oder nicht (natürlich ärgert er sich!) –, unverbrüchlich stieg er morgens um elf mit freundlich-ernstem, braunem, sehr sommersprossigem Gesicht auf sein Motorrad und töffte stinkend und hupend aus der Stadt, womöglich denselben Weg, den eine Stunde vorher Geheimrat Faulmann mit seinem Braunen langgezottelt war.
    »Was das nur bedeuten soll!« lachten die Leute. »Uns kann er doch nicht die Augen verblenden!«
    Vielleicht wollte er das auch gar nicht. Vielleicht wünschte Doktor Kimmknirsch nur, für ein paar Stunden aus der hocheleganten Wohnung bei Frau Postdirektor Bimm, wo ihn die sechs Rohrstühle im Wartezimmer förmlich angähnten, hinauszukommen an die frische Luft. Das wäre schon zu verstehen gewesen, denn er war von Jugend auf an viel frische Luft gewöhnt, als Sohn vom Schäfermeister Kimmknirsch aus Hinterpommern, in der Nähe von Belgard an der Persante.
    Jawohl, er fuhr ins Grüne oder Gelbe oder Braune, er lehnte sein Motorrad an einen Baum und ging im Wald spazieren, er sprang gänzlich unbekleidet in einen welteneinsamenSee und schwamm, er suchte unter einer Hecke und knackte zwischen zwei Steinen Haselnüsse (und war immerhin schon so weit zivilisiert, daß er nicht wie in seinen Schäferjungentagen die Zähne nahm) – ja, er kletterte sogar in seinen schönen, teuren, großkarierten Anzügen auf eine Kiefer und nahm ein Krähennest aus. So vertrieb er sich seine Zeit, und ungeduldig war er gar nicht – was der Sohn eines Schäfers ist, der dreitausend Schafe zu warten hat, der wird schon auf ein paar Patienten warten können!
    Und was noch viel mehr ist: er konnte sich sogar das Warten leisten, denn er hatte, was die Kriwitzer nicht wußten, schon von Geburt an, was der alte Geheimrat in seinem ganzen Leben nicht geschafft hatte. Er war auch ohne Patienten ein recht gutgestellter junger Mann, dieser Sohn des Schafmeisters Kimmknirsch!
    Schäfer Kimmknirsch war nämlich ein in jenem Lande Hinterpommern sehr bekannter Mann, war noch weit über die Grenzen dieser Halbprovinz berühmt und geehrt als Arzt, zu dem man selbst in den schwierigsten Fällen gehen konnte, der das Geld von seinen Tausenden von Patienten nur so scheffelte. Aber wenn er es in seinem Leben in jeder Hinsicht weit gebracht hatte, einen großen Kummer hatte er doch: daß ihn nämlich seine Kollegen von der wahren, alleinseligmachenden medizinischen Fakultät stets nur den Quacksalber und Viehdoktor nannten.
    Er nahm es mit seinen Krankenheilungen so wichtig und genau wie nur einer von ihnen, aber es steckte in ihm wie in allen: man möchte grade da Anerkennung ernten, wo von Rechts und Natur wegen gar nicht darauf zu rechnen ist.
    Da war es denn sein Herzenswunsch, aus dem

Weitere Kostenlose Bücher