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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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auf Mantel, Hose und im Gesicht – sie hätten gegrinst: Haben wir es uns nicht gedacht?! Haben wir es nicht gleich gesagt?
    Einen Augenblick blieb er so, keuchend und überlegend. Nur einen flüchtigen Blick warf er auf das Mädchen, das mit gesenktem Kopf gegen den Türrahmen lehnte – ebenso ausgepumpt wie er. Dann trat er zu dem Ohnmächtigen, fühlte den Puls und sah dabei zum ersten Male in vollem Licht dies hilflose, blöde Gesicht, das bläulichweiß war vor Blutleere.
    »Was hat er?« fragte er über die Schulter.
    »Eine Wunde«, flüsterte sie. »Am rechten Fuß.«
    Der Arzt antwortete nicht, horchte nur, fühlte wieder, zählte.
    Dann wandte er sich rasch um. »So schmutzig kann ich nichts tun. Setzen Sie sich hier ruhig an den Tisch und warten Sie. Waschen dürfen Sie sich übrigens auch – hier …«
    Sein Ton war ohne alle Freundlichkeit, nur ernst und streng. Rosemarie fühlte es, sie sagte gehorsam: »Ja« und huschte zum Tisch. Erst als der Arzt aus der Tür ging, wagte sie flehend zu fragen: »Und der Philipp, Herr Doktor? Ist es sehr schlimm –?«
    »Ich muß mich erst saubermachen«, sagte der Arzt und verschwand.
    Sie tat, was er befohlen hatte, aber sie konnte nicht still am Tischlein sitzen, immer wieder trat sie zu Philipp. Was sie fühlte, war Angst, Angst über alles Begreifen, Angst seit der Sekunde, als die Falle mit scharfem Klick zugeschlagen war und Philipp aufgeschrien hatte. So aufgeschrien –!
    In der Sandgrube nachher hatte er nur leise gewimmert und dazwischen gemurmelt: »Es ist nichts, min Deern …, es ist gleich wieder gut …«
    Aber es war nicht gleich wieder gut. Das Blut rann und rann, und sie bekam es nicht zum Stehen. Beim Schein schnell aufflackernder und ebenso schnell wieder ausgeblasener Streichhölzer löste sie die Falle und versuchte, aus der Wäsche einen Verband zu machen …
    Und das halb verhungerte, mißhandelte Geschöpf wurde immer schwächer …
    Ja, da war Angst gekommen – Angst über das, was sie begonnen, ahnungslos, mit einem Brief –, und nun wuchs es wie ein Feuer, griff hierhin, flammte dort, und sie mitten drin, ohne Gewalt, es zu dämmen, zu löschen …
    Dann die schreckliche Fahrt auf Hütefritzens altem Rad mit dem immer schwerer werdenden Jungen über denSandweg nach Kriwitz, diese endlose Fahrt, bei der zu treten, auszuschauen in die Nacht, zu steuern und festzuhalten war, und dabei immer die Angst: Wenn er nun stirbt … Was habe ich nur getan …
    Tiefschwarze Oktober-Nebelnacht, ohne Stern, und ein fast versagendes Herz ohne Trost …
    Das Gesicht des jungen Arztes, wie sie es auf der Straße gesehen, mit den hellen, freundlichen Augen, mit der kameradschaftlichen Stimme … und jetzt der kalte, ernste Ton …
    »Sie sollen am Tisch sitzen«, sagte er hinter ihr, im weißen Mantel. »Sehen Sie nicht her, setzen Sie sich …«
    Sie tat es, sah vor sich in den Schoß.
    »Gibt es denn nichts in der Welt«, fragte sie sich in einer verzweifelten Anwandlung, »wohin man flüchten kann? Irgend etwas müßte es geben, wohin man geht, wenn man gar nicht mehr aus noch ein weiß.«
    Von ihrer Jugend und den verstorbenen Eltern her und ganz frisch noch aus des Professor Kittguß’ Munde hätte sie es kennen müssen, dieses »Irgend etwas«, aber es ist nun einmal so, daß die Jugend zumal alles von dieser Welt und ihren Menschen, wenig aber von Gott erwartet.
    Der Arzt stieß einen ärgerlichen Ruf aus, jetzt sah er wohl den Fuß.
    »Woher ist das?« fragte er scharf über die Schulter.
    »Er ist in eine Falle getreten«, antwortete Rosemarie ängstlich.
    »So!« rief der Arzt böse. »Und warum sind ihm diese Drecklappen umgebunden worden? Und derartig sinnlos?! Macht das ein vernünftiger Mensch?! Nicht mal ausgewaschen sind die Wunden, alles voll Sand und Dreck?!«
    »Wir … ich hatte nichts anderes … Und es war kein Licht …« Oh, gegen diesen schneidend bösen, kalten Ton konnte sie sich nicht verteidigen.
    »Fräulein«, sagte Herr Doktor Georg Kimmknirsch und wandte ihr sein zorniges Gesicht jetzt ganz zu. »Fräu lein , Sie sind jetzt ausgeruht und ein bißchen warm geworden, nicht wahr? Nun rate ich Ihnen: ziehen Sie sich Ihren Mantel wieder an und verschwinden Sie! Ich will Sie nichts weiter fragen, wie Sie mich gebeten haben, aber gehen Sie …«
    Sie sah mit hilflos zitternden Lippen zu ihm auf, in ihre großen, hellen Augen traten ein paar Tränen. Doch sie schien die strengen Worte ganz überhört zu haben, sie fragte

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