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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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halb benommen. »Danke. Ja, danke.«
    »Haben Sie sich etwas getan?« hörte er dann die junge Stimme etwas deutlicher fragen. »Gott, habe ich Ihnen sehr weh getan?!« – »Das haben Sie!« sagte Kimmknirsch energisch und setzte sich auf dem Kopfsteinpflaster der Landstadt Kriwitz hoch. »Ich glaube, Sie sind mit zwanzig Zentnern Gewicht und mit fünfzig Kilometer Geschwindigkeit in meinen Magen gerast.«
    Er bemerkte neben sich ein Fahrrad, das völlig zertrümmert schien, und, zwei Meter ab, eine dunkle Gestalt, die sich auch grade stöhnend aufrichtete. Direkt vor ihm aber stand eine Weibsperson, eine junge, soweit die aus Stadtmitteln recht spärlich gespeiste Laterne erkennen ließ.
    »Es tut mir so leid –!« sagte sie und faltete recht rührend und überzeugend die Hände vor der Brust. »Wissen Sie, ich hatte den Jungen vorn auf dem Rade. Er ist krank, ich wollte mit ihm zum Arzt … Und hier geht es bergab, verstehen Sie, und das Pflaster ist heute auch so glitschig …«
    »Und Sie hatten kein Licht«, sagte der Arzt mit Nachdruck, »vergessen Sie nicht, Sie hatten kein Licht …« Noch etwas fiel ihm ein: »Und geklingelt haben Sie auch nicht!«
    Aber das Mädchen – es mußte wohl ein Mädchen sein – war seinen Vorwürfen entflohen und flüsterte mit dem andern Gestürzten. Kimmknirsch seinerseits betastete sachverständig Leib und Brust, zog erst das eine, dann das andere Bein an und bewegte prüfend die Arme. Alles funktionierte, etwas Ernsteres war ihm nicht geschehen – nur sein Kopf brauste wie ein Bienenhaus zur Schwarmzeit.
    Das Mädchen kam zurück. »Der Junge sagt, er kannnoch warten. Darf ich Sie wohl unterdes irgendwohin bringen, in Ihre Wohnung? Oder zu einem Arzt? Hier gleich in der Nähe wohnt einer …«
    »So«, sagte Kimmknirsch und tat grimmig. »Also zum Arzt wollen Sie mich bringen?«
    »Es ist erst ein junger Arzt«, sagte das Mädchen, um Entschuldigung bittend, »und er weiß vielleicht noch nicht soviel. Aber zum Geheimrat ist es so sehr weit. Sie sollen auch keine Kosten davon haben«, sagte sie plötzlich und versuchte, sein Gesicht im Dunkeln zu erkennen. »Ich habe grade etwas Geld bekommen.«
    »So, haben Sie das?« fragte Kimmknirsch und saß immer noch auf dem feuchten Pflaster. »Was fehlt denn dem Jungen?«
    »Er …«, fing sie an und verwirrte sich. »Er ist nämlich krank. Aber, bitte, fragen Sie nichts, kommen Sie jetzt, daß ich Sie zum Arzt bringe.«
    »So wollen wir sehen, daß wir ihn zusammen hinbringen«, meinte der Arzt und stand schwerfällig auf. »Hin ken kann ich jedenfalls noch. – Oder holen Sie doch noch lieber jemanden«, sagte er, schon gebeugt über den Kranken. »Er scheint ohnmächtig.«
    »Nein, nein, keine Leute!« rief das Mädchen in einem Ton so echter Verzweiflung, daß der Arzt zusammenfuhr. »Ich trage ihn ganz alleine. Bitte, fragen Sie nichts, aber nur keine Leute.«
    »Schön«, sagte Kimmknirsch nach kurzem Überlegen. »Dann fassen wir beide an. Aber das Rad müssen wir liegenlassen.«
    »Ach, das Rad!« rief sie. »Lassen Sie doch das Rad! Wenn ich den Jungen nur erst beim Arzt habe – und Sie natürlich auch«, setzte sie rasch hinzu.
    »Also los!« sagte der Arzt. »Kommen Sie, Sie fassen so an, ich so …«
    Es war eine klägliche, kümmerliche, unendlich langsame Prozession, die da durch Kriwitz zog, und es war nur gut, daß die Straßen um solche Herbstabendstunde gänzlich ausgestorben waren, sonst hätte es mancherlei Aufsehen und vielerlei Gerede gegeben. Aber Schritt für Schritt, mit mancher Ruhepause, schafften sie es doch. Schließlich kam das weiße Schild in Sicht, und das Mädchen sagte keuchend: »Da ist es endlich! da wohnt der Doktor.«
    »Das weiß ich«, antwortete Kimmknirsch, ebenso keuchend. »Ich bin es nämlich selber.«
    »O Gott!« rief das Mädchen und war so überwältigt, daß sie kein Wort weiter sagte.
    »Geben Sie ihn mir jetzt auf den Rücken, die paar Stufen trage ich ihn schon besser allein hinauf«, half ihr der Arzt über den Schreck. »Hier sind die Schlüssel – machen Sie auf. Leise, Fräulein, leise …! Frau Postdirektor Bimm ist ganz ausgehungert nach Neuestem, und da Sie Diskretion wünschen … Die weiße Tür rechts, der Schalter sitzt links … So … Halten Sie den Kopf, ich lege ihn jetzt aufs Sofa … So … Nun noch die Tür zu. – Und jetzt haben wir es geschafft –!«
    Er stand keuchend im Zimmer, und hätten ihn die Kriwitzer so gesehen, mit dem Schlamm ihrer Straßen

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