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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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sahen sich an.
    Die hellen bösen Augen Schliekers sahen ohne Blinzeln in die des Arztes. Der hatte sonst keinen Blick zu scheuen, und er scheute auch keinen. Aber heute abend hatte er einen Fehler gemacht, nein, viele Fehler. Er hätte weder dieses Mädchen noch den Jungen in seiner Wohnung behalten dürfen. Er hatte sich in eine Sache eingelassen, deren Folgen nur ärgerlich sein konnten, und darum war er nicht zufrieden mit sich. Und nicht genug mit alldem, jetzt stand er auch noch als eine Art Privatdetektiv für die kleine Thürke hier – und es war ihm, als könne Schlieker das alles erraten.
    Der Doktor wollte nicht, aber er blinzelte, er ärgerte sich wütend, aber er sah weg.
    »Also guten Abend, Herr Doktor«, sagte Schlieker, plötzlich laut auflachend, als lachte er den Arzt aus. »Fahr zu, Mali!«
    Und schon rasselte der Wagen klappernd und stoßend davon – in die Nacht hinein.
    Der junge besonnene, so selbstsichere Arzt stand da und ärgerte sich immer weiter und immer mehr.
    »Warum in aller Welt«, wütete er in Gedanken gegen sich, »habe ich nicht diesem schlechten Kerl, dem Schleicher, gesagt, daß die beiden bei mir sind?! Habe ich mich denn vor ihm zu verstecken –?! Habe ich denn Angst, er holt sie mir weg – gegen meinen Willen?! So etwas von alberner Heimlichtuerei ist mir nun wirklich in meinem ganzen Leben noch nicht passiert! Es ist doch wahrhaftig, als wäre ich von dem albernen Gör da oben mit seinen romantischen Faseleien angesteckt! – Jetzt gehe ich aberschnurstracks in den ›Erbherzog‹ und spreche mit dem Kollegen Faulmann und dem Amtsgerichtsrat Schulz – der Deubel soll mich holen, wenn ich nicht fürderhin tue, was Rechtens und Gesetzes ist! Mich von diesem bösartigen Affen auslachen lassen, und mit allem Recht – es wird ja wirklich immer schöner!«
    Und damit drehte sich Doktor Kimmknirsch so energisch auf seinen Hacken um, daß der Schmutz aufseufzte, und marschierte mit langen Schritten in den »Erbherzog«.

    Der Wagen klapperte und ratterte über das Kopfsteinpflaster von Kriwitz, jedes Eisenteil an ihm stöhnte, klirrte und klang, und jedes Holzstück ächzte und knirschte. In den spärlichen stillen Häusern brannte da und dort noch Licht, einesteils weißlich bei den Umstürzlern vom neu bescherten elektrischen Strom, andernteils gelblichmild bei den beharrenden Elementen in der althergebrachten Petroleumlampe.
    Dann lief der Wagen mit einem letzten ohrenbetäubenden Lärm am Ausgang des Städtchens über die Kleinbahngleise, und nun ging es – plötzlich fast lautlos – im Kriwitzer Sandweg weiter; nur das Lederzeug am Pferdegeschirr knarrte noch ein wenig.
    »Komisch«, sagte Päule in die Stille hinein.
    »Ja, komisch war er«, bestätigte Frau Mali.
    »Oben kurz angebunden und beinahe grob, und unten koddert er, als hätte er Sabbelwasser getrunken.«
    »Was er nur mit dem Rad hatte?« fragte Mali.
    »Ja, mit dem Rad hatte er was. Er wußte was davon.«
    »Aber er kann doch Tamms Rad nicht kennen!«
    »Ja, es ist das Rad, auf dem Hütefritz meistens fährt.«
    »Der ließe es aber nicht so liegen auf der Straße.«
    »Nein, das täte er nicht. Es ist wer anders drauf gefahren.«
    »Bestimmt. Aber wer? Und wozu?«
    »Ja, wozu fährt einer noch in der Nacht von Unsadel nach Kriwitz?«
    Die Pferde trabten, dann gingen sie wieder eine Weile Schritt im tiefen Sand.
    »Ganz egal!« sagte Päule plötzlich wütend. »Ob nun bei
    Tamm Licht ist oder nicht, ich gehe heute noch zu ihm und horche, wie das zusammenhängt!«
    »Laß es doch für morgen, Päule«, sagte sie bittend. »Morgen ist dann auch der Gendarm da …«
    »Der? Der findet auch nichts, weil er nichts finden will. Da muß ich schon selber Posten stehen …«
    »Laß uns nur diese Nacht ruhig schlafen, Päule«, bat sie wieder. »Laß das mit dem Rad bis morgen!«
    »Du hast wohl Angst?! Plötzlich?!«
    »Ach, Päule, ich bin so müde und kaputt. Und nun das mit den Anfällen …«
    »Anfälle –? Ein Anfall! Du hast doch gesagt, es kommt nicht wieder!«
    »Ja, natürlich …« Sie besann sich. »Aber mir ist so komisch, Päule, seit mich der Doktor so angesehen hat, ich bin so mutlos …«
    »Da bekommst du also noch mehr Anfälle, meinst du das?! Du hast also heute nachmittag gelogen?!«
    »Ich habe es doch gedacht, Päule! Aber nun, wo er mich so angesehen hat! – Päule, vielleicht wird es mir doch zuviel, vielleicht ist es doch besser, wir geben es auf. Wir haben jetzt ein schönes Stück

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