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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Geld zusammen, wir können uns etwas pachten … Nur einmal etwas mehr Ruhe, kurze Zeit nur …«
    »Gib die Zügel her!« schrie er. »Gottserbärmliches Weiberwinseln!«
    Er riß ihr die Zügel aus der Hand, die Peitsche, schlug auf die Pferde ein, daß sie losstürmten …
    »Immer, wenn man sich auf einen verläßt, ist man verlassen! Du bist auch nichts – Angst und Gewinsel … Stille bist du!« schrie er. »Kein Wort mehr! Hättest du den Jungen nicht laufengelassen, wie ständen wir da!«
    Er schwieg und sah finster vor sich in die Dunkelheit, in die sie immer ohne Ende hineinfuhren, Dunkelheit vor ihnen, um sie, hinter ihnen. –
    Sie fahren dahin, fahren dahin – und wir haben jetzt endlich einen Augenblick Zeit, nach unserm alten Professor Gotthold Kittguß zu sehen.
    Er sitzt noch immer in Dunkel und Kälte, an dem erloschenen Kaminfeuer, das er nicht hat in Gang halten, unter der Hängelampe, die er nicht hat anzünden können – und schläft und träumt. Aber es ist kein guter Traum, der unsern alten Deuter der Offenbarung Johannis heimsucht: er rührt sich im Traum, seine Lippen zittern, seine Hände bewegen sich, als wollten sie etwas wegstoßen, abwehren …
    Es ist keine gute Nacht, diese neblige Oktobernacht: sie hat Zwietracht und Mißtrauen zwischen dem Ehepaar Schlieker gesät; einem jungen Mann wehte sie ein Mädchen ins Zimmer, und er weiß nun gar nicht, was mit sich und ihr anfangen; und den alten Professor hat sie in seine jüngste, kleinste, längst vergessene Kindheit zurückgebracht, und er sieht mit der gleichen Angst wie vor fast sechzig Jahren Louise auf sich zukommen, die schöne Böttcherstochter aus der Berggasse, drei Häuser weiter …
    »Bitte, bitte, liebe Louise, laß es mir heute … Heute, einmal nimm es mir nicht fort …«
    Er ist erst sieben oder acht Jahre, aber grade darum hat ihn die Mutter geschickt, daß er beim Kaufmann noch Butter und Käse, beim Fleischer Wurst zum Abendessen holt: Er soll doch mit Geld umgehen lernen …
    Aber die große Vierzehnjährige, die Dunkle mit denschönen, langen, schwarzblauen Zöpfen hört gar nicht auf sein klägliches Betteln, sie stellt sich nur vor ihn hin, ohne ihn anzurühren, und sagt leise mit ihrer dunklen, sanften Stimme: »Schenk es mir, Holdchen, schenk es mir, bitte, dieses eine Mal noch …«
    Der Junge tritt einen Schritt zurück, sieht sie verzweifelt an und flüstert: »Ich habe schon gestern und vorgestern anschreiben lassen, Louise. Wenn es rauskommt! Wenn die Eltern es erfahren …, bitte, bitte, nur heute einmal nicht …«
    Aber es ist, als hörte ihn das Mädchen nicht, und er spricht doch so deutlich, wie er nur kann – es sieht ihn schmeichelnd an und sagt sanft: »Holdchen, Goldchen, bitte tu es!«
    Und der siebenjährige Professor kann sich der Stimme und dem Blick, er kann sich dem schönen Mädchen nicht entziehen. Ganz langsam und ganz gegen seinen Willen streckt er das weiße Händchen aus, und als er damit über ihrem bräunlichen ist, öffnet er es, und sie hat den silbernen Taler!
    »Danke schön, Holdchen, dummes, gutes Goldchen, danke schön!« ruft das Mädchen. »Morgen komme ich wieder!«
    Und ist fort.
    Der Junge aber steht zitternd auf demselben Fleck und sieht sie verschwinden, über seinem Kopf rauschen die Berggärten auf, immer noch einmal vor dem zur Nacht wehenden Wind. Ihm ist selbst jetzt im Traum, als röche er diese Gärten, die Vögel zwitschern ein weniges, schon schläfrig, der Himmel wird immer blasser und sanfter …
    Und das Kind überlegt, ob es nach Haus gehen und der Mutter alles erzählen soll, ob es lügen soll, daß das Geld verlorenging – und steht schon vor Kaufmann und Fleischer und bittet ängstlich um das Aufgetragene und bittet,es anzuschreiben. Und sie sehen ihn so komisch an und schneiden so zögernd das Stück Käse ab, heben so zögernd die Butter aus dem Eisschrank und die Wurst von der Stange …
    Es ist vielleicht nur vier- oder fünfmal gewesen, daß er diese schreckliche Qual erfuhr, denn Rechtsanwalt und Notar Kittguß ließ nie etwas anschreiben, und darum dauerte es auch nicht lange, bis Frau Fleischermeister Schwarzloh der Frau Notar einen Wink gab …
    Aber noch jetzt im Traum scheint es ihm, als sei es durch viele hundertmal so gegangen, als habe die Qual, die für sein kleines Jungenherz viel zu schwer war, viele Jahre darauf gelastet …
    Und da war Mutter mit verweinten Augen, und Vater fragte streng: »Gotthold, wo bist du mit dem

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