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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Besorgungsgeld geblieben?!«
    Aber nur die Stimme klang streng, der Junge fühlte doch alle Güte, und Mutter hätte gar nicht erst zu flüstern brauchen: »Goldchen, Jungchen, bitte, sag alles …«
    Das kleine Herz wollte ja so gerne die schwere Last abwerfen, und unter ständigem Schluchzen kam die seltsame, ganz unglaubliche, gradezu märchenhafte Geschichte von der Böttcherstochter Louise Runge heraus …
    »Ist es auch wirklich wahr, Goldchen?« fragte Mutter, auch schluchzend. »Sieh, Jungchen, wenn du das Geld vernascht hast, sag es doch, es ist gar nicht so schlimm …«
    Der Vater räusperte sich, und Mutter sagte eiliger: »Wir wollen es vergessen und vergeben, aber Böttcher Runges sind achtbare Leute …«
    Doch er bestand auf seiner Geschichte, ach, aus der Kehle des Träumers kam noch heute, fast sechs Jahrzehnte später, eine Erinnerung an das hilflose Schluchzen von damals –. Und der alte Bürobote Heinsius wurde geschickt: Ob Herr oder Frau Runge vielleicht so freundlich seinwollten, für einen Augenblick rüberzukommen – aber mit der Louise?!
    Die Tür tat sich auf, und mit der dicken kleinen Mutter kam das schöne, stille, dunkle Mädchen hinein – und in all seinem Jammer war dem kleinen Gotthold Kittguß doch, als freute es sich in ihm …
    Und dann redete Vater, und plötzlich sahen alle auf ihn, den Jungen …
    Aber da war schon das Mädchen vor ihm und schüttelte ihn an den Schultern und schrie ihn an: »Wie kannst du das von mir sagen, du alter, böser, verlogener Junge, du! Das Geld vernaschen und es mir dann in die Schuhe schieben! Pfui, pfui, pfui, Betrüger und Dieb!«
    »Laß, Louise«, sagte der Vater. »Laß den Jungen.«
    Und er schob das Mädchen fort, sah seinem Sohn in die Augen und sagte: »Gotthold, sieh mich an. Hat Louise recht oder hast du recht?«
    Und der Junge wollte den Vater ansehen, wollte reden, aber da war die schöne, schöne Feindin …
    Und nun fühlte er den ersten und einzigen Schlag, den sein Vater ihm gegeben, und eine erzene Stimme wie die Stimme des Gerichts sprach: »Geh auf dein Zimmer, Gotthold!«
    Aber nicht dieser Schlag war das Schlimmste, und nicht diese Verbannung war das Schlimmste, und nicht der kalte, ferne Ton der Eltern in den kommenden Monaten war das Schlimmste, und nicht Spott und Hohn der andern Kinder war das Schlimmste – sondern daß die Welt entzwei war, das war das Schlimmste! Daß die Vögel zu Unrecht im Einschlafen so schläfrig zwitscherten, daß das dunkle Mädchen zu Unrecht so schön war …
    Der Schläfer rührt sich im Traum und stöhnt.
    Viele Jahre sind vergangen, Jahrzehnte, eine endlose Zeit – wo ist die schöne, stille, dunkle Louise? Längst gestorbenund vergessen! Aber der alte Mann kann heute noch nicht mit Geld umgehen, er mag heute noch in keinen Laden treten, etwas zu kaufen, er vergißt heute noch das Bezahlen, und er ist heute noch immer allein …
    Nicht umsonst ist er einsam und allein geblieben, nun sitzt er hier im dunklen, kalten Stall, die Jugend ist fortgelaufen, sie hat ihn vergessen, wieder einmal.
    Sein Kopf sinkt tiefer auf die Brust, im Schlaf greifen seine Hände nach der Decke und ziehen sie höher über die kalt werdenden Knie – schlafe weiter, alter Schläfer, morgen ist auch ein Tag: solange Leben da ist, ist Hoffnung. Schlafe!

    Dorf Unsadel war dunkel und still, als der Schliekersche Wagen über die Dorfstraße klapperte, auch das Tammsche Haus war dunkel und still. Trotzdem hielt Päule.
    »Da, nimm die Zügel!« sagte er zu Mali und gab sie ihr in die Hand. Es waren die ersten Worte, die er zu ihr sprach seit ihrem Streit. Er stieg langsam und steif vom Wagen, langsam und steif stieg er die Stufen zur Haustür hoch, dann schlug er mit der Faust dagegen.
    »He, August, mach mir mal auf!«
    Sofort setzte das wütende, spitze Gekläff eines Hündchens drinnen im Haus ein, ein anderer, größerer Hund bellte laut vom Hof her, und nun hörte Schlieker auch noch einen dritten Hund bellen, auf dem Giebel … etwas undeutlich, aber …
    Er machte eine rasche, überraschte Bewegung zu seiner Frau: »Hörst du?« – und besann sich.
    Wieder lauschte er, schlug von neuem gegen die Tür, rief, pochte – aber der kleine Kläffer im Erdgeschoß übertönte die andern beiden mit seinem spitzen, bösen Keifen. Trotzdem hätte er schwören mögen …
    »Wer ist denn da?!« fragte eine grämliche, ärgerliche Stimme, nahe an seiner linken Schulter. »Brennt’s wo?«
    »Das nicht«, lachte Päule

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