Altes Herz geht auf die Reise - Roman
sofort. »Du kannst gleich wieder schlafen, August. Ich will dir nur was mitbringen aus Kriwitz.«
»Ach, der Schlieker«, sagte die fette Stimme durch den Fensterspalt. »Das hätte schon noch bis morgen Zeit gehabt. Ist es was vom Kaufmann? Na, gib schon her. Ich hol mir sonst noch was, hier am offenen Fenster.«
»Wird schlecht gehen mit dem Hergeben durchs Fenster, August«, sagte Schlieker höhnisch. »Es ist nämlich nur dein Rad, was ich in Kriwitz auf der Straße gefunden habe.«
»Rad –? Was für ’n Rad –? Willst du jetzt mit
mir
stänkern, Päule?«
»Stänkern? Ich stänkere mit keinem, der mich nicht anstänkert, August. Und du bist gut, das weiß ich, August. Du tust keiner Fliege was, wenn sie sich nicht grade auf dein Essen setzt …«
»Ich will schlafen«, sagte Tamm kläglich. »Komm endlich raus mit deinem Quatsch, was du wirklich willst.«
»Ich hab’s dir doch schon gesagt, August. Ich habe dein Rad in Kriwitz auf der Straße gefunden, dein Fahrrad, verstehst du …«
»Ich hab doch gar kein Fahrrad, Päule, was du bloß mit mir willst! Denkst du wirklich, ich setze mich mit meinen zweieinhalb Zentnern auf ein Rad –?!«
»Oder das vom Hütefritzen!« schrie Schlieker, dem auch die Geduld riß.
»Hütefritz? Der liegt oben im Giebel und schläft! Wie kann dem sein Rad in Kriwitz sein –?«
»Das frag ich dich, August! Was macht der Hütefritz in der Nacht, August …?«
»Schläft!« kam eine helle Stimme vom Giebelfenster her. Und zugleich blaffte oben ein Hund.
»Da siehst du …«, fing August Tamm klagend an.
Aber Schlieker rief aufgeregt: »Da! Da war er wieder! Das war Bello! Was macht mein Bello in seiner Kammer?
Ich kenne doch die Schnauze von meinem Hund! Was macht mein Hund in deinem Haus, Tamm?!«
»Nun wird’s mir zu dumm, Päule«, schalt Tamm. »Stän kern . Ewig stänkern. Und jetzt noch mitten in der Nacht! Was geht mich dein lausiger Köter an?! Und das mit dem Rad – alles Hirnverbranntheit und Quatsch und ewige Stänkerei! Das kannst du in Biestow tun, da sind sie es wohl so gewöhnt, aber hier bei uns in Unsadel …«
»Wahr und wahrhaftig, August, es ist dein Rad! …«
Zu spät, schon schrammt das Fenster zu, und er hat gut gegen die Scheiben trommeln und schreien, nichts rührt sich im Haus mehr. Er muß es aufgeben, steif klettert er wieder die Treppen hinunter, und jetzt klingt ihm von oben, vom Giebelfenster her die helle, freche Jungenstimme nach: »Gute Nacht, Päule! Schlaf auch schön, Päule!«
Und als sei dem Hund plötzlich das zugehaltene Maul freigegeben, bellt der von oben rasend los, sein eigener Hund, das dämliche Vieh, bellt hinter ihm her, als sei er ein Dieb oder Handwerksbursche!
Was ist los? Warum haben sie keine Angst mehr vor ihm? Er steht gut da, besser als je, morgen wird Haussuchung bei dem Erzfeind-Gau gehalten, Strafanzeige wegen Körperverletzung ist erstattet, die Marie muß zurück, nichts liegt gegen ihn vor – und es ist doch vorbei?! Wieso?
Er hat längst die Pferde ausgespannt, längst hat die Frau vom Bett her gerufen: »Komm doch, Päule, leg dich, das kann dir nicht gut sein!«
Er rennt auf und ab, er grübelt. Manchmal schießt es flammend in ihm hoch, die Wut ist da! Dann möchte er los, anbrennen, zerschlagen. Aber die Flammen sinkenwieder, eine Stimme flüstert: »Sachte und leise, Päule! Mit Sachte und Leise bist du immer am weitesten gekommen!«
So grübelt er, auf und ab. Die Frau hat ihn gerufen, jetzt scheint sie ruhig zu sein. Schläft sie? Ja, sie schläft wohl, sie hat die Augen geschlossen – sachte und leise, Päule, kein Wort mehr, auch zu ihr nicht!
»Das haben Sie großartig gemacht, Kollege«, sagte der alte Geheimrat Faulmann. »Es war wahrhaftig ein Genuß, Ihnen zu assistieren. Ja, die Jugend, die Jugend –! Wir Alten denken immer, es geht nicht voran. Aber es geht doch voran. Wir sehen es bloß meistens nicht.«
Der junge Doktor Kimmknirsch lächelte dem älteren Kollegen zu. Dann sah er zufrieden auf den Jungen, der, jetzt noch bewußtlos, aber säuberlich verbunden, genäht und ohne alle Knochensplitter in der Wunde wieder auf dem Sofa lag.
»Ja«, sagte er. »Ich denke, so wird es. Er wird nichts davon zurückbehalten. Er braucht wahrhaftig nicht noch zu hinken – er ist schon so genug im Nachteil.«
»Sicher, ganz richtig!« sagte der Ältere bereitwillig. »Und nun?« fragte er dann vorsichtig. »Was werden Sie nun tun? Sie wollen doch aus Ihrer Wohnung kein Lazarett
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