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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Gesicht.
    »Ich kann nicht mehr sehen!« schrie er und taumelte rückwärts. Er griff haltsuchend nach dem Pfahl und bekam statt dessen den Ärmel von Akoahs Tunika zu fassen. Das Material hielt sekundenlang; dann ertönte ein reißendes Geräusch, der Ärmel trennte sich langsam von der Tunika, und ihm blieb nichts weiter als eine Handvoll weißer Filz. Wieder streckte er verzweifelt die Hand nach Akoah aus, um Halt zu finden, und wieder griff er daneben. Einen Moment lang schwankte er auf dem schlüpfrigen Rand von Zuhans Grab, während er wie wild mit den Armen in der Luft fuchtelte. Dann verlor er die Balance und stürzte kopfüber in die Tiefe.
    Danach passierte alles auf einmal. Als Changar stürzte, schrien andere Leute, daß sie ebenfalls blind wären, und die Menschenmenge brach in Panik aus. Frauen jammerten, fielen auf die Knie und vergruben ihr Gesicht in ihrem Schal. Krieger brüllten, daß die Sonne verlöscht sei. Als sie davonzulaufen versuchten, stolperten sie übereinander. In ihrer Panik trampelten sie über ihre eigenen Ehefrauen und Kinder hinweg und stießen sich gegenseitig blindlings in Zuhans Grab.
    Wäre Marrah nicht an den Pfosten gebunden gewesen, wäre sie unweigerlich mit ihnen in das Grab hinuntergezerrt worden, aber die Lederschnüre waren stark, und die Knoten hielten. Sie stand da wie eine Frau, die an den Mast eines kleines Bootes gefesselt war, während um sie herum ein wütender Sturm toste, und als sie beobachtete, wie die blinden Nomaden einander über den Haufen rannten, begriff sie plötzlich: Hiknak hatte das Pulver der Unsichtbarkeit in den Kersek geschüttet!
    Aber das war noch nicht alles, was Hiknak getan hatte, denn als Marrah dort stand, unfähig, sich zu rühren, erschien Hiknak. Ihr blondes Haar war aus ihrem Gesicht zurückgeflochten, und sie hatte ihren Schal weggeworfen und ihre Tunika hochgebunden, so daß sie wie ein Mann laufen konnte. In ihren blassen Augen lag ein Ausdruck des Triumphs – nein, nicht Triumph, sondern Ekstase. Hiknak war eine Frau, erfüllt von der Ekstase der Rache. In ihrer rechten Hand schwang sie einen von Vlahans Dolchen.
    Wenn Vlahan sie hätte sehen können, hätte er vielleicht noch lauter geschrien, als er ohnehin schon schrie, denn wenn jemals eine Frau entschlossen ausgesehen hatte, einen Mann zur Erdenmutter zurückzubefördern, dann war es Hiknak. Das einzige, was Vlahan rettete, war Zuhans Grab. Er war auf der einen Seite der Grube, gefangen in der von Panik erfüllten Menge, während Hiknak auf der anderen Seite stand. Wenn sie irgendwie zu ihm hätte gelangen können, wäre er ein toter Mann gewesen, aber sie konnte es nicht, deshalb benutzte sie seinen Dolch dazu, Marrahs Fesseln durchzuschneiden, und dann befreite sie Stavan und Dalish.
    Sobald sie frei waren, rannten sie um ihr Leben, während Hiknak vorauslief. Inzwischen hatte sich die Menschenmenge auf ihrer Seite des Grabes etwas zertreut, deshalb war es möglich, den stolpernden Kriegern auszuweichen. Später sollte sich Marrah darüber wundern, wie unsichtbar sie in jenem Moment tatsächlich waren. Niemand löste Alarm aus, niemand verfolgte sie, nicht ein Kopf drehte sich auch nur in ihre Richtung, als sie in das hohe Gras flohen, so schnell ihre Beine sie trugen. Stavan schnappte sich im Laufen einen Bogen und einen Köcher voller Pfeile von einem der gefallenen Krieger, Marrah hab einen Dolch auf, und Dalish griff sich einen Bogen und einen Speer.
    Hiknak hatte für alles gesorgt. Es standen bereits Pferde bereit, gesattelt und aufgezäumt, schnelle, ausdauernde Pferde, einige der besten aus der Herde. Stavan wartete, bis Marrah, Hiknak und Dalish aufgesessen waren. Dann schwang auch er sich auf den Rücken seines Tieres, drückte dem Hengst die Fersen in die Seiten, und schon galoppierten sie um die große Herde herum, während der kalte Wind auf ihren Gesichtern brannte und das Trommeln der Pferdehufe in ihren Ohren dröhnte.
    »Arang!« schrie Marrah, und sie schlugen einen Bogen in Richtung Lager, wobei Pferde und Rinder in alle Richtungen auseinanderliefen.
    Die Wachtposten hatten ebenfalls reichlich Kersek konsumiert.
    Als sie die fünf Reiter hörten, die sich in gestrecktem Galopp näherten, brachten sie sich in Sicherheit, während sie über ihre eigenen Füße stolperten und gegen die Tiere stießen, die zu bewachen ihre Aufgabe war. Nur einer besaß genug Geistesgegenwart, einen Speer in Richtung der Reiter zu schleudern, doch er fiel zu Boden, ohne zu

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