Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
lasse dich nicht bei einem Mann zurück, der sich wie zwei völlig verschiedene Menschen verhält, selbst wenn er Kerus Gesicht hat.«
»Wir werden es nicht schaffen, wenn wir zusammen gehen. Er wird uns aufspüren und einfangen. Du solltest zusehen, daß du wegkommst, solange die Gelegenheit günstig ist.«
Keshna schob das Kinn vor und blickte Luma störrisch an. »Ich habe einen besseren Plan. Wir gehen mit ihm in das Lager, treffen Changar und ermorden den alten Bastard bei der ersten sich bietenden Gelegenheit. Und dann überreden wir Keru, mit uns nach Shara zurückzugehen.«
»Kannst du mir vielleicht verraten, wie du ihn dazu überreden willst? Du hast gehört, wie er spricht.«
»Uns fällt schon etwas ein.«
»Was?«
»Das weiß ich doch jetzt noch nicht. Wir werden einfach abwarten, bis der richtige Zeitpunkt gekommen ist, und auf unsere Überredungskunst und unseren Verstand vertrauen. Bis jetzt haben sie uns noch immer aus der Klemme geholfen.«
Luma sah ein, daß es keinen Zweck hatte, mit ihr zu streiten. Sie mußte sich unbedingt einen besseren Plan ausdenken, aber ihr blieb keine Zeit dazu. Ein Zweig knackte, und Keru trat, einen großen schwarzen Hengst am Zügel führend, aus dem Wald heraus. Eine Schnur mit frisch erlegten Enten hing über dem Widerrist des Pferdes, und Luma erkannte, daß Keru wohl auf der Jagd war, als er zufällig auf ihre Spuren stieß.
»Darf ich euch Windtänzer vorstellen?« sagte Keru voller Stolz.
Keshna sprang auf die Füße. »Also, das nenne ich ein Pferd! « Sie näherte sich dem Hengst vorsichtig und schlang ihm liebevoll einen Arm um den Hals. »Du hättest mir gehören können«, sagte sie schmeichelnd und schmiegte ihre Wange an seinen Kopf.
Keru lachte. »Nicht, solange ich noch atme. Ich liebe dieses Pferd mehr als meine Konkubinen.«
Keshna hob mit einem Ruck den Kopf. »Wie viele Konkubinen hast du?«
Keru lächelte sie an und zupfte an einem seiner Ohrringe. »Drei.« Er beugte sich vor, schnallte seinen Gürtel ab und bandagierte Lumas verstauchten Knöchel mit unglaublicher Geschicklichkeit. Dann hob er sie auf seine Arme und setzte sie auf Windtänzers Rücken.
Eine Weile wanderten sie in westlicher Richtung, einem schmalen Pfad folgend, der am Rande des Deltas entlanglief. Als sie die Lichtung erreichten, grasten Shalru und die kastanienbraune Stute friedlich am Teich, umringt von einem Schwarm von Silberreihern. Eine Brise kräuselte die Oberfläche des Teiches zu kleinen, glitzernden Wellen, und die Kronen der Bäume rauschten und murmelten unverständliche Warnungen.
17. KAPITEL
Auf der anderen Seite des Flusses in dem Nomadenlager wartete er, der nichts als Dunkelheit war, an einem Ort vollkommener Stille. Er, der Finstere Träumer, lag auf der Lauer und wartete; er, der Choatk diente. Nach einer Weile nahm die Stille um ihn herum Form und Farbe an. Sie bewegte sich in langen Wellen wie Licht auf Wasser; sie war gesprenkelt und unregelmäßig; und lang – so unendlich lang wie ein Spinnwebfaden, der zum Himmel hochgeworfen wird.
Die Spinne erinnerte sich, daß sie einen Namen hatte; sie erinnerte sich daran, daß ein menschliches Herz in ihrer Brust schlug.
Kommt zu mir,
flüsterte sie. Sie streckte ihre acht Spinnenbeine aus, so daß sie sich ausbreiteten wie ein Kranz von Strahlen um eine schwarze Sonne. Sie war nicht wie andere Spinnen: Ihre Augen waren die einer Fliege, ihre Füße die einer Zecke; aber sie spann ihren unsichtbaren Spinnwebfaden zu Fallstricken und legte sie auf dem Boden zwischen den Hufen der Pferde und den Füßen der Kinder aus; Sie hängte sie an den Zelten auf und umgab die Lagerfeuer mit Fallen aus hauchfeinem Gespinst, bis das ganze Lager ein einziges klebriges Spinnennetz war.
Kommt zu mir,
flüsterte die Spinne abermals. Sie öffnete ihre gelben Fliegenaugen, und sah, wie sie den Fluß an der Furt durchquerten, ihre Pferde durch den träge dahinfließenden Strom schwimmen ließen: Keru, die Frau namens Keshna, die Frau namens Luma. Am gegenüberliegenden Flußufer hatten sich Kerus Krieger versammelt, um die seltsame Szene zu beobachten, wie ihr Häuptling in Begleitung zweier Kriegerinnen zurückkehrte; aber die Spinne, die in einem dunklen Zelt in der Mitte des Netzes auf der Lauer lag, sah die anderen Beobachter nicht. Sie sah nur die drei Reiter, die unaufhaltsam näher kamen.
Ihre Pferde erhoben sich aus dem Wasser und wateten ans Ufer, das Fell dunkel und tropfnaß. Kleine Zweige und Blätter
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