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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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senken schien. »Tatsächlich genieße ich es sogar, Changar sabbern und lechzen zu sehen. Ich habe nicht sonderlich viel Talent für Mitleid.«
    »Kersek!« jammerte der alte Mann schwächlich. Er fing an zu husten – ein nasser stoßweiser Husten, bei dem Luma die Zähne zusammenbiß. Tränen strömten über seine Wangen, und er fuchtelte mit seinen klauenartigen Händen in der Luft herum, als schlüge er nach unsichtbaren Fliegen. Keru eilte mit drei langen, schnellen Schritten zu ihm, ließ sich auf die Knie sinken, nahm Changar in seine Arme und hielt ihn, bis sein Hustenanfall vorbei war und er wieder atmen konnte.
    »Nicht weinen, Onkel«, murmelte er beruhigend und tätschelte Changar den Rücken, als wäre er ein Baby. »Bitte wein nicht. Hör auf zu weinen, und ich bringe dir deinen Kersek. Der Schlauch hängt gleich dort drüben. Siehst du? Jede Menge Kersek für dich, wenn du nur aufhörst zu weinen.«
    »Wie kann er diesen elenden Hurensohn nur so lieben?« flüsterte Keshna angewidert. Luma zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie, »aber es hätte schlimmer kommen können. Changar ist so krank, daß er nicht mehr gefährlich ist. Und wenn er stirbt, können wir Keru vielleicht dazu bringen, sich daran zu erinnern, daß seine Mutter ihn liebt. Vielleicht können wir ihn sogar dazu überreden, die Seeräuberei aufzugeben und mit uns nach Shara zurückzukehren.«
    Keshna starrte Changar voller Verachtung an. Ihr Gesicht schien sich in sich selbst zusammenzufalten, wie dünne Schichten von Stein, die lautlos zusammengleiten. »Ich würde mich nicht darauf verlassen, daß der alte Gauner demnächst stirbt. Sieh ihn dir doch an. Wenn du mich fragst, simuliert er nur.«
    Wenn Changar tatsächlich nur simulierte, dann machte er seine Sache ausgezeichnet. Je länger er hustete, desto schwächer und verwirrter wurde er, bis Luma es schließlich nicht mehr länger mit-ansehen konnte. Sie ging zur nächsten Zeltstange, nahm den Kersekschlauch und reichte ihn Keru, der ihn entkorkte, ein wenig von dem milchigen Gebräu auf seine Finger träufelte und Changars Lippen damit befeuchtete. Bald trank Changar gierig aus dem Schlauch, und die gegorene Stutenmilch tropfte wie weißer Speichel an seinem Kinn herunter.
    Keshna schnitt eine Grimasse und wandte sich ab. »Laß uns von hier verschwinden«, schlug sie vor. Sie und Luma verließen das Zelt und traten in einen Nachmittag hinaus, der so strahlend hell war, daß der Himmel wie gehämmertes Silber erschien. Vor ihnen strömte der Fluß dahin wie ein breites, glitzerndes Band. Luma starrte auf den Fluß und fragte sich, ob Batal wohl barmherzig genug war, selbst Changar zu verzeihen. Sie dachte noch immer darüber nach, als Keru aus dem Zelt kam, um zu verkünden, daß der alte Mann seinen Kersek getrunken hatte und eingeschlafen war.
     
    Mehrere Tage vergingen, ohne daß Keru sie noch einmal mit in das weiße Zelt nahm, um Changar zu besuchen. Statt dessen tat er alles, was in seinen Kräften stand, um ihnen das Gefühl zu geben, willkommen zu sein. Obwohl die Nomadenkrieger sie mit seltsamen, starren Blicken musterten, wenn sie durch das Lager gingen – wobei Luma sich schwer auf Keshnas Arm stützte –, wagte es keiner der Männer, sie zu beleidigen oder auch nur mit ihnen zu sprechen. Die Frauen und Kinder waren etwas kühner, aber ebenso verschlossen. Mehr als einmal fühlten Luma und Keshna plötzlich weiche Hände auf ihrem Körper und hörten kreischendes Gelächter, wenn die Frauen davonrannten.
    »Die seltsamen Krieger haben Brüste! «
    »Sind es Männer oder Frauen?«
    »Männer haben keine Brüste, du dumme Kuh! «
    »Der Kopf der Kleineren sieht aus wie ein Eichhörnchenarsch.« »Ein Eichhörnchen mit Räude! «
    Keshna, deren Kopf Gegenstand dieser Bemerkungen war, versuchte, mit den Frauen zu reden, doch wenn sie sich ihnen näherte, stoben sie wie eine Schar Spatzen in alle Richtungen davon. Das Witzige war, daß Keshnas Kopf tatsächlich Ähnlichkeit mit dem Hinterteil eines Eichhörnchens hatte. Winzige Büschel aus rötlichem, fellähnlichem Haar ragten aus ihrer Kopfhaut, und wenn sie mit dem Rücken zur Sonne stand, schien sie einen Heiligenschein zu haben.
    »Ich spreche Hansi!« brüllte Keshna. »Ich verstehe sehr gut, was ihr sagt! « Sie hob die Hände an den Mund und tat so, als verspeise sie eine Nuß, doch obwohl die Frauen heftig lachten, bestand die einzige Konversation, zu der sie bereit waren, darin, daß sie

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