Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
sie verraten könnte, den Atem an. Aber Changar blickte nicht in ihre Richtung, er hatte nur Augen für Kern.
»Keru«, sagte er mit gedämpfter, eindringlicher Stimme. »Kannst du mich hören?«
Durch Kerus Körper ging ein heftiger Ruck, der ihn eigentlich hätte wecken müssen, aber seine Lider flatterten nur ein paarmal und schlossen sich dann wieder. »Ich höre dich, Onkel«, erwiderte er mit der undeutlichen Stimme eines Schlafwandlers.
»Keru, wer war dein Vater?«
»Mein Vater war Vlahan.«
»Braver Junge.« Changars Lippen verzogen sich zu einem triumphierenden Grinsen, das Luma grauenhaft fand. Es war das verderbte Grinsen eines Menschen, der etwas Schlimmes getan hat und auch noch stolz darauf ist. »Und wer ist deine Mutter?«
»Marrah aus Shara.«
»Du meinst, Marrah, die Hexe. Marrah, die böse, stinkende Hexe, die dich haßt.«
Keru sagte nichts.
»Antworte mir.«
Keru sagte noch immer nichts.
»Du bist heute abend sehr ungezogen, Keru. Sag: ›Meine Mutter haßt mich.«
Zwei Tränen quollen unter Kerus geschlossenen Lidern hervor und rollten ihm über die Wangen. »Meine Mutter haßt mich«, stotterte er mit schrecklicher, benommener Stimme. »Ach, aber ich wünschte, sie würde mich nicht hassen. Ich liebe sie so sehr.«
»Du liebst sie nicht. Du haßt sie. Wenn du an sie denkst, siehst du verfaultes Fleisch und Würmer, die darin herumkriechen; du siehst widerlich stinkende Dunghaufen; blutige Eingeweide ...« Er fuhr fort, ekelerregende Dinge aufzuzählen.
»Und jetzt sag es noch einmal: ›Meine Mutter haßt mich, und ich hasse sie.«
»Meine Mutter haßt mich, und ich hasse sie.« Kerus Stimme bebte.
Luma ballte ihre Hände so fest zu Fäusten, daß die Nägel ihr in die Handflächen schnitten. Irgendwie wußte sie bereits, was als nächstes kommen würde.
»Guter Junge.« Changar sprach so herablassend und verächtlich mit Keru, als sei er ein Hund. »Und jetzt sag: Ich hasse meine Schwester ...«
»Nein«, stöhnte Keru.
»... und meine Cousine. Sag die Namen, ›Luma‹ und ›Keshna‹ und spuck auf den Boden. Fühle, wie dich die beiden Namen mit wildem Haß erfüllen.«
»Nein. Niemals!«
Changars Stimme verwandelte sich in ein scharfes Zischen, das in der Stille der Nacht widerzuhallen schien. »Wie war das? Niemals? Du wagst es, ›niemals‹ zu mir zu sagen? Kratz dir die Augen aus!«
Luma keuchte entsetzt auf, als Keru anfing, sich die eigenen Augen auszukratzen, doch bevor er sich ernstlich verletzten konnte, packte Changar ihn an den Handgelenken. »Hör auf damit, du kleiner Idiot. Mir ist gerade eingefallen, daß du nutzlos für mich bist, wenn du blind bist. Aber du mußt bestraft werden. Hat Rimnak dein Zelt verlassen?«
»Nein, Onkel.«
»Wirf sie heute abend hinaus.« Luma fühlte, wie Rimnak hinter ihr zusammenzuckte. »Sag ihr, sie erinnert dich an einen fetten Hund, und schick sie zu ihrem Taugenichts von Bruder zurück, diesem Tlanhan, und zwar mit nichts als den Kleidern, die sie auf dem Leib trägt. Und schick auch deine jüngste Konkubine fort.«
»Nicht Urmnak.«
»O doch, Urmnak.« Changar beugte sich so weit zu Keru vor, daß seine Lippen fast Kerus Mund berührten, als er sprach. »Du gehörst mir. Ich habe dich gemacht, und ich kann dich jederzeit vernichten. Entweder du tust, was ich dir sage, oder ich nehme dir alle deine Konkubinen weg. Wage es noch ein einziges Mal, dich mir zu widersetzen, und ich werde deinen Penis in einen Wurm verwandeln. Du wirst nie mehr fähig sein, mit einer Frau zu liegen. Du wirst für den Rest deines Lebens impotent sein. Verstehst du, was ich sage?«
Kerus Lippen zuckten leicht. »Ja.«
»Gut. Und jetzt laß uns noch einmal von vorn anfangen. Erzähh mir, wie du deine Schwester und deine Cousine mit deinen eigenen Händen töten wirst.«
»Nein.«
Changars Augen verengten sich zu zwei Schlitzen grünen Zorns. Er lehnte sich zurück und starrte Keru lange schweigend an. Dann zuckte er zu Lumas Verblüffung die Achseln, tauchte zwei Finger in die Schale mit Ragout, wählte ein Stückchen Fleisch aus und knabberte daran.
»Ich schätze, ich habe dir heute abend nicht genug zu trinken gegeben«, murmelte er. »Aber egal. Morgen ist auch noch ein Tag.« Er fischte weitere Fleischstücke aus der Schale, trank die Brühe aus und wischte sich den Mund am Ärmel seiner Tunika ab. »Kannst du mich immer noch hören, Keru?«
»Ja, Onkel.«
»Gut. Nun denn, da du mir nicht sagen willst, wie du deine Schwester und
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