Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
zerrissen. Er würde Rimnak rächen und diesen Schandfleck der Familienehre auslöschen; aber offen über eine solche Sache zu sprechen oder auch nur eine Andeutung fallenzulassen, war nicht Sache einer Frau, nicht einmal einer Ehefrau oder einer Schwester.
Während Rimnak vor Zorn tobte und Tlanhan Rache schwor, saß Changar in seinem Zelt und spann finstere Netze aus seinen Gedanken. Niemand hatte sich getraut ihm zu sagen, warum Keru die letzten fünf Male, als Changar ihn zu sich befohlen hatte, nicht in sein Zelt gekommen war. Aber Changar wußte es, auch ohne daß man es ihm gesagt hatte. Wenn er seine Zungenspitze hervorschnellen ließ, schmeckte er Kerus Verrat in der Luft. Er hörte ihn in dem Schweigen der Krieger, wenn sie an seinem Gedanken vorbeigingen; er war in den hastigen Schritten der Frauen, wenn sie sich beeilten, die Kinder zu beruhigen; in dem nervösen Getrappel der Pferde und dem Winseln der Hunde. Wenn die Fliegen kamen, um Changar um den Kopf zu schwirren, berichten sie, daß Keru ihm aus dem Weg ging; wenn nachts die Moskitos kamen, um sein Blut zu saugen, sangen sie mit hohen, dünnen Stimmen Lieder von Hinterlist und Verrat.
Changar brauchte nur die Hände auszustrecken, und schon erzählte ihm die bloße Luft von Kerus Besessenheit. Er konnte fühlen, wie sich die beiden Liebenden wie ein Paar kopulierender Schlangen auf dem Boden wälzten, konnte Kerus hilflose Wollust und das kalte Intrigenspiel der Frau spüren. Wenn er seine Spinnenaugen benutzte, konnte er sehen, wie Keshna Keru mit ihrer Hitze und ihren nackten Beinen an sich zog, wie sie ihn wie ein Kalb fesselte und ihn mit ihrem Geruch brandmarkte.
Selbst ohne Magie, selbst ohne das innere Auge des Zauberpriesters, das alles sah, hätte Changar gewußt, daß Keru ihn verraten hatte. Keru kam nicht mehr wegen des schwarzen Tranks zu ihm, was bedeutete, daß er nachts schlafen konnte; er war wohl vollkommen erschöpft, wenn er bei seiner Cousine den Hengst spielte. Das war schlimm genug, aber heute war es noch schlimmer gekommen. Heute hatte Changar gehört, wie die Trommler Hochzeitslieder übten, und den würzigen Duft der Fleischspeisen für das Festmahl gerochen.
Vierzehn Jahre lang hatte der Junge ihm gehört. Vierzehn Jahre! Und alles, was diese Frau hatte tun müssen, um ihm Keru wegzunehmen, war, die Beine zu spreizen. Changar schloß die Augen und ließ haßerfüllte schwarze Spinnwebfäden durch das Lager wirbeln. Als er noch ein Junge war, war er einmal von einem Blitz getroffen worden und hatte es überlebt. Der Blitz hatte ihn von der Schulter bis zum Fuß gestreift und eine lange Narbe hinterlassen. Er hatte diese Narbe voller Stolz getragen, als ein Zeichen von Gott Han, daß er auserwählt worden war, ein Schamane und Zauberpriester zu sein. Heute betete Changar zu Han und Choatk und flehte sie an, ihm die schreckliche Macht göttlichen Feuers zurückzugeben. Er betete lange Zeit und versprach, Konkubinen zu opfern, kleine Mädchen und Pferde. Die beiden Götter schienen erfreut über das Angebot zu sein, denn noch bevor er seine Gebete zu Ende gesprochen hatte, hörte er leises Donnergrollen in der Ferne und das Prasseln von Regentropfen auf dem Dach seines Zeltes.
Als Rimnak Tlanhan in Changars Zelt führte, saß Changar im Schneidersitz auf einem Wolfsfell. Auf seinen Befehl hin hatten die beiden Gehilfen seinen Körper mit schwarzer Farbe eingerieben, sein Gesicht mit blauen Regenzeichen bemalt, sein Haar mit weißem Ton gestärkt und auf seine linke Körperseite einen großen weißen Blitz gemalt, der von der Schulter bis zum Fuß reichte und der Linie der alten Narbe folgte. Als sie fertig waren, hatte Changar seinen Medizinbeutel verlangt und sich Lippen und Zähne mit etwas Rotem eingerieben, so daß er aussah als habe er gerade Blut getrunken. Diese Bemalung hatte er in den alten Zeiten getragen, aber seit Vlahan bei Shara besiegt worden war, hatte ihn keiner mehr in seiner ganzen Macht dasitzen sehen. Mit der Bemalung sah er nicht mehr aus wie ein alter Mann, nicht einmal mehr wie ein menschliches Wesen. Er sah wie Choatk aus, jener furchtbare Gott, der Menschenfleisch verschlang wie Rindfleisch.
Rimnak warf nur einen Blick auf Changar, machte auf dem Absatz kehrt und floh in panischer Angst. Aber Tlanhan, der ein Krieger war, wich nicht von seiner Stelle.
»Sprich«, forderte Changar ihn auf.
Tlanhan schluckte schwer und versuchte zu sprechen, aber sein Mund fühlte sich an, als sei er
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