Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
mit Sand gefüllt. Er kannte Changar, seit er ein kleiner Junge war, doch dieses Ding, das da auf dem Wolfsfell hockte, sah nicht aus wie Changar.
»Meine Schwester«, begann er, »ist entehrt worden. Keru, der mein Freund und Blutsbruder war, hätte ihr ein Kind machen und sie zur Ehefrau nehmen sollen; statt dessen heiratet er diese Schlampe aus dem Süden.«
»Wann heiraten sie?« Changars Stimme war so leise, daß man ihn kaum verstehen konnte, aber Tlanhan lief ein kalter Schauder über den Rücken.
»Morgen.«
»Und was soll ich dagegen tun? Sag es mir schnell, Tlanhan, und spar dir die Mühe, mich zu belügen. Ich kann in dein Herz hineinsehen, als sei es aus Wasser.«
»Ich möchte, daß du den kalten Fluch aufhebst, mit dem du jeden belegt hast, der Keru etwas zuleide tut«, erwiderte Tlanhan. »Weil ...« Sein Mut verließ ihn, und er starrte Changar stumm an, unfähig, ein Wort hervorzubringen.
»Weil ...« soufflierte Changar.
»Weil ich die Absicht habe, Keru zu einem Kampf herauszufordern und ihn zu töten.« Tlanhan klappte den Mund so fest zu, daß seine Zähne aufeinanderschlugen. Schweigen breitete sich im Zelt aus, ein langes – und aus Tlanhans Sicht – ganz furchtbares Schweigen.
»Und womit willst du gegen Keru kämpfen?«
»Mit meinem Dolch.«
»Ein Dolch ist eine Waffe mit einer kurzen Klinge. Du wirst dich auf einen Nahkampf einlassen müssen.«
»Ich habe keine Angst davor, mich ihm zu nähern. Ich kenne alle seine Tricks. Wir haben mit hölzernen Messern gekämpft, als wir Kinder waren. Ich habe mit ihm gespielt, bis wir uns beide vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnten. Wir waren wie Brüder.«
»Und jetzt?«
»Jetzt sind Keru und ich nicht länger Brüder.«
Changar befeuchtete seine Lippen mit einer Zunge, die so weiß war, daß sie Tlanhan an die Zunge eines Frosches erinnerte. »Ich habe mich um Keru gekümmert, seit er ein Kind war, aber ich dulde keinen Ungehorsam. Wenn ich einem Mann befehle, etwas zu tun, dann erwarte ich von ihm, daß er es tut.«
Changar beugte sich vor. Seine Augen glichen grünen Schlitzen. Als er in Tlanhans Augen starrte, wurde Tlanhan von panischem Schrecken erfaßt. Etwas Finsteres, Bedrohliches schien sich seine Kehle hinunterzuschlängeln. »Und was ist mit dir, Tlanhan? Wenn ich den kalten Fluch aufhebe und meine Macht benutze, um dich zum nächsten Häuptling zu machen, wirst du dann auch ein Narr sein?«
»Ich werde tun, was du mir befiehlst«, stotterte Tlanhan.
»Ach!« meinte Changar. »Wirst du das wirklich tun?« Er schien nicht überzeugt, aber er mußte es wohl gewesen sein, denn bevor Tlanhan wußte, wie ihm geschah, bot Changar ihm eine spezielle Sorte Kersek an, um den Handel zu besiegeln. Der Kersek, der nicht aus gegorener Stutenmilch bestand, war schwarz und hatte einen leicht bitteren Geschmack; aber Tlanhan tat so, als ob ihm das Gebräu köstlich mundete, und er prostete Changar zu, als er den Schlauch an seine Lippen hob. Danach brannte er darauf, wieder zu gehen, doch Changar schien nicht geneigt, die Unterhaltung so schnell zu beenden.
»Setz dich eine Weile zur mir«, sagte Changar. Das war keine Einladung, sondern ein Befehl, und so ließ Tlanhan sich auf einem Kissen nieder, wo er prompt eindöste. Er wachte wieder auf und ertappte Changar, wie der ihn mit einem seltsamen Ausdruck betrachtete. Es war kein Ärger, darüber wäre Tlanhan nicht überrascht gewesen. Es war eine Art wohlwollender Befriedigung, so, als hätte Changar gerade erkannt, daß er, Tlanhan, sein lange verschollener Sohn war.
Changar lächelte und streckte die Hand aus. »Gib mir deinen Dolch«, sagte er.
Tlanhan war vollkommen entnervt. Das scheußliche Lächeln mit den blutroten Zähnen, das den alten Mann aussehen ließ wie einen Wolf, der seine Beute fraß, war schlimm genug; aber ein Krieger trennte sich nie von seinem Dolch, es sei denn, seine Feinde entrissen ihn seiner Leiche. »Meinen Dolch?«
»Ja, deinen Dolch. Ich werden ihn verzaubern, um dich unbesiegbar zu machen.«
Erleichtert reichte Tlanhan seinen Dolch Changar mit dem Heft voran. »Wann soll ich ihn wieder abholen?« fragte er.
»Morgen früh, wenn die ersten Vögel zu singen beginnen.« Tlanhan erhob sich, verbeugte sich und wandte sich zum Gehen, aber Changar hielt ihn zurück.
»Warte. Ich brauche deine Schwester Rimnak für einen zweiten Zauberbann. Ist sie mutig genug, zurückzukehren und zu tun, was ich ihr sage, ohne Fragen zu
Weitere Kostenlose Bücher