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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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der Krug auch einen roten Streifen am Rand – als Warnung. Wilder Honig stammt von Bienen, die mit dem Blütenstaub von giftigen Pflanzen gefüttert wurden. Aber Changar hat einen großen Fehler begangen, als er beschloß, Keshna damit zu ermorden. Ich habe öfter, als ich zählen kann, in den Tempeln von Shara gesessen und beobachtet, wie die Priesterinnen wilden Honig zu sich nehmen. Er macht sie schwindelig und benommen und erzeugt Halluzinationen; und wenn sie versehentlich zuviel davon gegessen haben, müssen sie sich übergeben und versinken in einen tiefen Trancezustand, der der Todesstarre zum Verwechseln ähnlich ist. Aber nach einer Weile erwachen sie wieder. Der Verzehr von wildem Honig ist nur für kleine Kinder tödlich und für Leute, die nicht wissen, wie gefährlich das Zeug ist. Ein kleiner Krug wilden Honigs reicht aus, um einen für lange Zeit in eine todesähnliche Starre zu versetzen, aber man müßte schon fünfmal soviel davon essen, um zur Muttergöttin zurückzukehren.
    Damals, als Keshna und ich den Nomaden vom Grünen Strom ihre Schlachtrösser stehlen wollten, hatten wir große Mühe, etwas Stärkeres als wilden Honig zu besorgen.« Sie hielt inne. Urmnaks und Chamnaks Mienen verrieten ihr, daß sie nicht verstanden, was sie sagte, doch sie durfte keine Zeit mit langatmigen Erklärungen verschwenden. Vielleicht würde Keshna ja von allein wieder aufwachen, wie die Priesterinnen von Shara, aber sie hatte nicht die Absicht, das dem Zufall zu überlassen.
     
    Luma rannte quer durch das Lager, ohne sich um ihre schmerzenden Glieder zu kümmern. Wenige Augenblicke später war sie in Changars Zelt und steckte bis zur Taille zwischen Körben und Beuteln. Sie brauchte irgendein harmloses Stimulans wie Gartenraute, ein Mittel, das Heiler anwandten, um den Appetit von Kranken anzuregen; aber jedesmal wenn sie einen von Changars zahlreichen Lederbeuteln aufzog, fand sie entweder etwas Giftiges oder etwas Unbekanntes oder etwas, das sie lieber nicht gesehen hätte: Tollkirschen, Schierling, Misteln! Changar war der einzige ausgebildete Heiler im Lager gewesen; hatte er denn nie etwas Nützliches getan?
    Luna schnaubte angewidert und wandte sich einem neuen Berg von Medizinbeuteln zu. In jedem Mutterhaus in Shara hätte sich Minze oder Kamille gefunden, um Magenverstimmungen zu lindern, Changar hatte nur Dinge gehortet, um finstere Magie zu betreiben: Bärengalle, getrocknete Ratten, ein ganzes Tongefäß voller konservierter, zu Paste gestampfter Spinnen; in Salzlake eingelegte Giftschlangen; höchst verdächtig aussehende Pilze; und –noch widerwärtiger – ein Trinkbecher, der aus einem menschlichen Schädel gemacht war.
    Luma schob den Schädelbecher in einen Winkel, wo sie ihn nicht sehen mußte, und nahm sich vor, ihn bei der ersten Gelegenheit zu vergraben. Dann suchte sie weiter. In einer dunklen Ecke des Zelts, versteckt unter einem Stapel halbvermoderter Kaninchenfelle, stöberte sie schließlich einen Beutel auf, gefüllt mit Päckchen Kräutern, die mit Heilkräften gesegnet waren, statt zu töten.
     
    Spuckend und würgend kam Keshna zu sich. Ihre Sicht war verschwommen, sie hatte die schlimmsten Kopfschmerzen, die sie je im Leben gehabt hatte, und zu allem Überfluß beugte sich Luma auch noch über sie und flößte ihr irgendeine ekelhaft schmeckende Flüssigkeit ein.
    »Hör auf damit!« Keshna würgte wieder, schlug Luma die Schale aus der Hand und versuchte, sich aufzusetzen, aber es fühlte sich an, als würde ein unsichtbares Pferd auf ihrer Brust stehen. Zutiefst verärgert rieb Keshna sich die Augen und inspizierte ihre Umgebung ein zweites Mal. Sie war nicht mehr am Flußufer. Sie lag auf einem Stapel weicher Teppiche und blickte zu einem prunkvoll gemalten blauen Himmel mit goldenen Sternen hoch. Urmnak und Chamnak standen zwischen ihr und dem imitierten Himmel, schnieften und schluchzten und nickten wie zwei verängstigte Störche ruckartig mit dem Kopf.
    »Weshalb weinen die beiden?« wollte Keshna wissen. Luma sah schrecklich aus. Ihr Gesicht war völlig zerkratzt, und ein Schneidezahn fehlte.
    »Sie haben gedacht, du seiest tot«, antwortete Luma.
    »Tot!« schnaubte Keshna empört. »Warum sollte ich wohl so blöde sein und sterben? Steht nicht herum und glotzt mich an! Helft mir lieber hoch. Ich habe mit Changar noch eine Rechnung zu begleichen.«
    »Nicht nötig«, sagte Luma. »Du kannst dich zurücklehnen und ausruhen, bis du dich wieder besser fühlst. Changar ist

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