Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
leicht«, erklärte Breng bitter. »Ich hätte dich überhaupt niemals berührt, wenn du mir von Anfang an gesagt hättest, daß du nicht berührt werden willst. Die Männer von Alzac versuchen niemals, mit einer Frau gegen ihren Willen Liebe zu machen, genausowenig, wie die Frauen von Alzac versuchen würden ... «
Keshna brachte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen. »Und zweitens«, fuhr sie fort, »mußt du mir schwören, jedem zu erzählen, daß wir die ganze Nacht lang Lust miteinander geteilt haben. Tatsächlich mußt du allen erzählen, daß es die wundervollste Liebesnacht war, die du jemals erlebt hast.«
Breng war von dieser Forderung völlig überrumpelt. Doch ein nackter Mann, der hilflos an einem Baum hing, war kaum in der Lage, mit einer Verrückten zu verhandeln, und so erklärte er sich damit einverstanden. »Aber warum lügen?« fragte er verwundert. »Wozu das Theater?«
Keshna lachte verbittert. »Das ist ganz einfach: Als ich mich geweigert habe, mir unter den Tänzern einen Partner auszusuchen, hat meine Mutter mir erklärt, Han werde mich bis in alle Ewigkeit verfluchen und es werde ein schlimmes Ende mit mir nehmen, wenn ich Lumas Volljährigkeitszeremonie verderben würde, indem ich Unglück auf ihre Freunde und Familie herabbeschwöre.«
»Han?« fragte Breng verständnislos. Der Name des nomadischen Himmelsgottes sagte ihm überhaupt nichts.
»Egal. Sagen wir einfach, daß meine Mutter eine Art Schamanin ist – zumindest nach Auffassung der Hansi –, und daß ich keinen gesteigerten Wert darauf lege, es mir mit ihr zu verderben. Sie glaubt, Tante Marrah hätte ihr das Leben gerettet, als sie Vlahans Konkubine war – obwohl ich den Eindruck habe, es war eher umgekehrt. Jedenfalls, wenn meine Mutter jemals dahinterkommt, daß wir beide heute nacht nicht zu Ehren der Göttin Erde wie wild miteinander gerammelt haben, werde ich das noch bis in alle Ewigkeit zu hören kriegen. Ganz zu schweigen davon, daß ihr Alzacaner mir die Schuld an sämtlichen Mißernten, Seuchen und sonstigen Katastrophen geben werdet, die diese blöde Insel während der nächsten fünf Generationen heimsuchen.«
»Ich schwöre, ich werde jedem erzählen, daß wir uns bis zur völligen Erschöpfung geliebt haben«, erklärte Breng. »Und jetzt laß mich endlich runter. Mein Rücken tut weh, und meine Hände sind schon ganz taub.«
Keshna zog ein kleines Messer aus ihrem Stiefel, trat auf Breng zu und drückte die Klinge gegen seinen Schenkel. Er zuckte erschrocken zusammen. Die Steinklinge war kalt und viel zu nahe an einem Teil seines Körpers, der ihm beträchtliches Vergnügen bereitete. »Dann haben wir also eine Abmachung?« sagte sie.
»Ja.« Er versuchte, nicht zu dem Messer hinunterzublicken.
»Schwöre noch ein zweites Mal. Ich höre dich so gerne schwören.«
Und so schwor Breng ein zweites Mal bei der Göttin der Wogen, der Göttin Erde, bei Batal und bei seiner Mutter, daß er nicht versuchen würde, Lust mit Keshna zu teilen, aber am nächsten Morgen allen erzählen würde, er habe eine atemberaubende Liebesnacht mit ihr verbracht.
Als er fertig war, lächelte Keshna. »Ich mag Männer am liebsten, wenn sie vernünftig sind.« Damit hob sie das Messer von seinem Schenkel zu seinen Handgelenken und befreite ihn von seinen Fesseln.
Breng hielt sein Versprechen – und die Händler, die die Neuigkeit von dem skandalösen Volljährigkeitstag an der Westküste des Süßwassersees verbreiteten, ahnten nicht, welch saftiger Klatsch ihnen entgangen war. Der nächste Teil der Skandalgeschichte war kein Geheimnis, da er sich in aller Öffentlichkeit und vor den Augen sämtlicher Inselbewohner abspielte. Dies war natürlich genau das, was Luma und Keshna geplant hatten, aber selbst sie hatten unterschätzt, wie schockiert die Leute sein würden.
An dem Morgen nach einer Volljährigkeitsfeier kehrten die neuen Frauen gewöhnlich mit den jungen Männern ihrer Wahl zum Haus ihrer Mutter zurück. Die Verwandten der jungen Frau bereiteten ein köstliches Mahl vor, und Familienangehörige und
Freunde kamen vorbei, um ihre Glück- und Segenswünsche auszusprechen. An dem Morgen nach Lumas und Keshnas Volljährigkeitsfeier hatten Driknak und Marrah mit Hiknaks Hilfe ein delikates Festmahl aus Ziegenkäse, knusprigem Fladenbrot, Honigkuchen und gedünsteten Äpfeln mit Sahne zubereitet, aber niemand kam, um die Köstlichkeiten zu essen. Als die Sonne über den Horizont gestiegen war, machten
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