Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
eigentlich dauernd? Deine Fragerei wird allmählich langweilig. Hast du etwa gedacht, ich hätte nur zum Spaß soviel Zeit mit Kandar verbracht?«
Tatsächlich hatte Luma genau das gedacht, aber sie hielt wohlweislich den Mund. Keshna bohrte ihre Fingerspitze in den Mittelpunkt des Kreises. »Das Nomadenlager ist genau an dieser Stelle. Kandar hat es mir selbst erzählt. Die Nattern sind durch Zufall darauf gestoßen, kurz bevor die Blätter anfingen zu fallen. Sie waren auf dem Rückweg nach Shara. Kandar sagte, sie hätten lange genug angehalten, um das gesamte Lager auszukundschaften, und wären zu dem Schluß gekommen, der Stamm, der sich für den Winter am Ufer des Grünen Stroms niedergelassen hatte wenn man eine kümmerliche Ansammlung von rund einem halben Dutzend Familien überhaupt einen Stamm nennen kann –, sei keine Bedrohung für Shara, zumindest nicht bis zum Frühling.«
»Aber wenn die Nomaden am Grünen Strom keine Bedrohung für Shara sind, dann haben sie vielleicht keine Waffen oder Schlachtrösser«, wandte Luma ein.
Keshna stieß einen Zischlaut des Mißfallens aus, eine Angewohnheit, die sie Ranala abgeguckt hatte. »Du mußt dir immer gleich das Schlimmste ausmalen, nicht? Natürlich haben die Nomaden am Grünen Strom Schlachtrösser. Natürlich haben sie Waffen. Was glaubst du, was das ist – eine Gruppe tätowierter Priesterinnen, die den Winter über in einem Zeltlager hausen?«
»Aber bist du dir wirklich sicher? Hat Kandar dir tatsächlich
gesagt,
daß diese Nomaden genau das haben, was wir brauchen?«
»Reg dich ab. Mein ergebener kleiner Kandar hat sehr präzise Angaben gemacht. Er hat gesagt, er hätte mindestens vier Schlachtrösser gesehen.« Keshna lachte. »Du glaubst, ich denke mir das alles nur aus, nicht wahr?«
»Nein. Aber ich fürchte, du neigst dazu, das zu glauben, was du glauben willst, ob es nun wahr ist oder nicht. Ich hoffe nur, wir stoßen nicht auf dieses Lager, nur um festzustellen, daß wir unser Leben für eine Herde Ziegen und lahmer Packpferde riskiert haben.«
»Vielleicht hätte ich Kandar Sex gewähren sollen, statt ihm nur zu erlauben, wie ein liebeskrankes Hündchen hinter mir herzulaufen«, unterbrach Keshna sie. »Wenn ich den Dummkopf in mein Bett gelassen hätte, würdest du mir vielleicht glauben.«
»Das ist übrigens noch etwas, was ich dich fragen wollte: Warum sprichst du immer so verächtlich über Kandar? Was hat er denn falsch gemacht, außer daß er sich in dich verliebt hat? Den ganzen Herbst hast du den armen Kerl mit Andeutungen gequält, daß du vielleicht bereit wärst, Lust mit ihm zu teilen, nur um es dir dann im letzten Moment wieder anders zu überlegen. Zuletzt hat er förmlich an deinen Lippen gehangen. Ihr habt den Eindruck eines Liebespaares gemacht, aber du hast unmißverständlich durchblicken lassen, daß du nicht mit ihm geschlafen hast. Du kannst leicht über Kandar spotten und sagen, er habe ausgesehen wie ein liebeskrankes Hündchen, aber wenn er liebeskrank, traurig und verwirrt war, dann hast
du
ihn dazu gemacht! Er ist ein gutaussehender Mann – liebevoll und freundlich –, und wenn du ihn in dein Bett genommen hättest, hätte er dir bestimmt große Lust bereitet, statt dessen hast du ihm den Kopf verdreht, obwohl du dir überhaupt nichts aus ihm machst. Ich habe noch keine Frau jemals ein so grausames Spiel mit einem Mann treiben sehen. Wozu das Ganze?«
»Na, na, na«, erwiderte Keshna mit spöttischem Zungen-schnalzen, »was höre ich denn da? Das klingt ja, als wäre eine gewisse Cousine von mir scharf darauf, Kandar in ihrem eigenen Bett zu haben.«
»Mach dich nicht lächerlich«, fauchte Luma. »Ich fühle mich nicht im geringsten zu ihm hingezogen. Ich stelle dir nur eine naheliegende Frage, die du offenbar nicht beantworten willst. Aber ich frage dich trotzdem noch einmal: Was sollte das Ganze?«
»Die Sache ist die, daß ich es nun mal genieße, Männern den Kopf zu verdrehen. « Keshna lachte, doch hinter ihrem Lachen verbarg sich etwas Düsteres und Trauriges. Sie hatte kein schlechtes Gewissen, weil sie Kandar an der Nase herumgeführt hatte, aber Lumas Vorwürfe hatten sie an einer empfindlichen Stelle getroffen. Die Tricks, die Luma beschrieben hatte, hatte Keshna von Hiknak gelernt. Es waren die Schlichen einer ehemaligen Konkubine, die gezwungen gewesen war, in einer Welt zu leben, in der Frauen keinerlei Macht besaßen außer der sexuellen Macht, die sie über Männer ausübten. In der
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