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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Intelligenz lediglich für unausgegorene Pläne, zum Beispiel viele Rinder aus einer großen Stadt wie Shara zu stehlen (der er sich zu nähern gewagt hatte) oder ein reiches Dorf zu plündern und sich ein Dutzend hübscher Konkubinen zu kaufen.
    Die Nomaden vom Grünen Strom hätten wahrlich einen tüchtigeren Anführer gebrauchen können: Viele von ihnen litten an einer neuen Hustenkrankheit, die sie sich bei den Mutterleuten geholt hatten; ihr Vieh verkümmerte in den Wäldern, wo nur spärlich Gras wuchs; und sie mußten sich ständig gegen Angriffe der Sumpfnomaden schützen, die ein Stück weiter flußabwärts überwinterten, ganz zu schweigen von den Bemalte-Gesichter-Nomaden, die sich in einem der von ihnen überfallenen Dörfer eingenistet hatten und jetzt in den warmen Häusern genau der Mutterleute lebten, die sie so brutal niedergemetzelt hatten.
    Doch während der Belagerung von Shara waren viele Häuptlinge und Unterhäuptlinge umgekommen, und die Krieger wußten, daß sie wahrscheinlich keinen besseren Anführer als Lrankhan bekommen würden. Daher ließen sie ihn als ersten sprechen, wenn sie so wie an diesem Abend um das Feuer der Männer versammelt saßen; und wenn er – wie so häufig – nervtötend eintönige Monologe hielt, hörten die jüngeren Männer zu, statt über ihn herzufallen und ihn zu töten, wie sie es mit ihrem letzten Häuptling getan hatten, einem wirklichen Schwachkopf und unfähig, eine Herde Ziegen zu hüten.
    In dieser Nacht, der längsten Nacht des Jahres, hielt Lrankhan die weitschweifigste Rede, die er jemals gehalten hatte. Während seine Krieger vor Langeweile glasige Augen bekamen, sprach er endlos lange über die alten Zeiten, als die Zaxtusi noch in der Steppe gelebt hatten und ein großes Volk gewesen waren. In jener Zeit, als Vlahan der Große über die Zwanzig Stämme geherrscht hatte, hatten die Zaxtusi-Schamanen seinen Worten zufolge zum Wintersonnenwendefest fünfzig Pferde getötet, um die Sonne zurückzulocken. Bei diesen Zeremonien war auch stets ein kleines Mädchen geopfert worden, um Choatk, den Gott des Höllenreichs, gnädig zu stimmen; und manchmal, wenn der Winter besonders streng war, hatte man Han, dem Herrn des Leuchtenden Himmels, sogar ein kostbares Kind männlichen Geschlechts geopfert – immer ein Neugeborenes und eines, das wahrscheinlich ohnehin nicht lange überlebt hätte.
    Die jüngeren Krieger mochten Lrankhans Erzählungen von Opferungen, Blut, das aus Schädeln getrunken wurde, und Umhängen, genäht aus den Häuten von Feinden; da aber keiner von ihnen alt genug war, um sich an Vlahan oder die Zwanzig Stämme erinnern zu können, erschien ihnen die Vorstellung von einem Volk, das reich genug war, um fünfzig Pferde zu opfern, so absurd, daß sie hinter Lrankhans Rücken die Augen verdrehten. Die älteren Krieger, die die Wintersonnenwende-Riten noch miterlebt hatten, reagierten dagegen verdrießlich auf Lrankhans Geschichten. Sie dachten nicht gerne an ihre ruhmreiche Vergangenheit zurück. Als Lrankhan von den fünfzig Pferden sprach, die im Schnee geschlachtet worden waren, und schilderte, wie die Frauen den Siegesgesang der Zaxtusi angestimmt hatten und vorwärtsgestürmt waren, um die Tiere auszuweiden und die Innereien für einen köstlichen Eintopf zu verwenden, lief den alten Kriegern das Wasser im Mund zusammen. Sie ärgerten sich über Lrankhan, weil er sie daran erinnerte, daß sie jetzt arme, fast führerlose Männer waren, die von schimmeligem Käse und ranzigem Bärenfleisch lebten.
    »Und so kam es«, fuhr Lrankhan mit monotoner Stimme fort, ohne auf seine Zuhörer zu achten, »daß in jener Mittwinter-nacht ...« Er verstummte abrupt, unterbrochen von einem seltsamen Geräusch, das an das hohe Trillern einer Flöte erinnerte. Alarmiert sprangen die Krieger auf die Füße und zogen ihre Dolche, während sie angestrengt in die Dunkelheit auf der anderen Seite des Flusses spähten.
    »Was war das?« flüsterte einer der Jungen und starrte furcht-sam auf den Wald. Die kahlen Bäume wirkten gespenstisch im matten Licht der Sterne, und überall türmten sich in grotesken Formen über Gebüsch und Sträuchern Schneeverwehungen auf.
    »Wahrscheinlich ein Nachtvogel«, erklärte Lrankhan. Was er jedoch wirklich dachte – und was auch alle anderen Männer und Jungen vermuteten –, war, daß das Trillern ein Angriffssignal der Sumpfnomaden sein mußte. Schweigend bedeutete Lrankhan einem seiner Männer, den Wasserschlauch zu

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