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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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gehört, aber wahrscheinlich hatte er es mitbekommen, was bedeutete, er ihr nach dem Überfall eine ordentliche Standpauke halten würde.
    Sie nickte Keshna entschuldigend zu und tätschelte beschwichtigend Shalrus Hals, während sie innerlich flehte, er möge nicht noch einmal mit dem Huf stampfen. Gewöhnlich gehorchte Shalru auf das geringste Kommando, doch aus irgendeinem unerfindlichem Grund wurde er zunehmend unruhiger. Der Wallach hob den Kopf und schien auf etwas zu horchen, obwohl es, soweit Luma es beurteilen konnte, bis auf ein paar ferne Vogelrufe nichts zu hören gab. Die weichen Nüstern seiner samtigen schwarzen Nase blähten sich, über seinen Widerrist lief ein Zucken, und er legte die Ohren zurück. Keine sonderlich ermutigenden Anzeichen. Er war offensichtlich kurz davor, wieder mit dem Huf zu stampfen oder sogar zu wiehern. Luma beugte sich tief über seinen Hals und begann, mit leiser, beruhigender Stimme zu flüstern.
    »Ruhig, mein Schatz«, murmelte sie besänftigend. »Ganz ruhig, mein kleiner Liebling, mein süßer Schatz.« Keshna neckte sie immer, weil sie mit Shalru sprach wie mit einem Liebhaber, doch Luma hatte schon vor langer Zeit herausgefunden, daß Koseworte ihn beruhigten. »Shalru, meine Meereswelle; Shalru, der mich wie ein Boot auf seinem schönen breiten Rücken schaukelt; Shalru, der mir Freude bereitet und mich auf unsichtbaren Flügeln durch den Wald fliegen läßt: Sei still, mein Liebster, sei ganz ruhig.«
    Sie hatte bisher noch nie erlebt, daß ihr Flüstern nicht die gewünschte Wirkung erzielte, aber heute nützte alles nichts. Shalru hob den linken Vorderhuf und senkte ihn mit einem dumpfen Aufschlag. Zum Glück war es nur ein leises Stampfen, nicht annähernd so laut wie das erste Mal, aber er bewegte sich dabei ein kleines Stück zur Seite, so daß Lumas Bein den Rumpf von Keshnas Stute streifte und das Tier ein paar Schritte seitwärts tänzelte.
    »Sieh zu, daß du dieses blöde Vieh unter Kontrolle bekommst!« zischte Keshna.
    »Ich versuche es ja!« zischte Luma zurück. Sie zog Shalru von Keshnas Stute weg und überlegte verzweifelt, was sie noch tun konnte, um ihn zu beruhigen. Offensichtlich war der Wallach wegen irgend etwas nervös, aber weswegen? Spürte er ihre Furcht und Unsicherheit, oder reagierte er auf etwas anderes, etwas, das er hören und wittern konnte, sie aber nicht? Als Luma sich erneut über seinen Hals beugte, um ihm ins Ohr zu flüstern, ging ihr plötzlich auf, was ihn vielleicht so unruhig machte. Bevor er in ihren Besitz gelangt war, hatte Shalru dem Häuptling der Nomaden vom Grünen Strom gehört. Er war eigentlich ein Nomadenschlachtroß, und so, wie er die Nüstern blähte, wäre sie jede Wette eingegangen, daß er den vertrauten Geruch anderer Nomadenschlachtrösser witterte.
    Aber wo waren sie? Sie hielt reglos inne, schmiegte ihre Wange an Shalrus Hals, horchte angestrengt und hörte nichts. Dann richtete sie sich im Sattel auf und spähte durch den Schirm von Weidenstöcken, und wieder sah sie nichts außer dem Pfad, dem Wald und einem kleinen braunen Vogel, der noch immer optimistisch Jagd auf Ameisen machte.
    Dann geschah etwas ganz Seltsames, etwas, das sie sich nie richtig erklären konnte. Sie hatte nicht etwa eine Vision – Batal gewährte ihr nie Visionen –, aber ganz plötzlich spürte sie hinter sich die Anwesenheit einer bösen, bedrohlichen Macht. Sie war finster und häßlich, und sie erzeugte eine Art tonloses Summen, als hätten sich Hunderte von Fliegen in einem dichten Schwarm erhoben.
    Luma drehte sich halb um, blickte über Shalrus Rumpf hinweg und sah das Nomadenüberfallkommando. Vier schwerbewaffnete Krieger, gekleidet in dunkle Filzbeinlinge und schlammverkrustete Tuniken, ritten schweigend durch den Wald. Sie verschmolzen so perfekt mit ihrer Umgebung, daß sie nicht zu sehen gewesen wären, hätten sie sich nicht bewegt. Sie waren nicht den Pfad heraufgekommen, wie Kandar erwartet hatte, sondern den kleinen Bach entlang, der hinter den Weinstöcken verlief. Das gestohlene Vieh, das sie eigentlich hätten treiben sollen, war nicht zu sehen, aber sie führten drei Packpferde am Zügel, beladen mit blutdurchtränkten Ledersäcken, die höchstwahrscheinlich frischgeschlachtetes Fleisch enthielten.
    Eine Woge panischer Angst schlug über Luma zusammen. Die Krieger hatte kahlrasierte Köpfe und abscheuliche Tätowierungen. Pfeile ragten wie Stacheln aus den Köchern, ihre sirrenden Bögen waren vollkommen,

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