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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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waren drei der vier Plattformen so klein, und deshalb hatte die Dorfmutter – in der Annahme, daß die Kinder vielleicht noch lebten – den verhängnisvollen Fehler gemacht, hinter dem Schutzwall hervorzukommen und den Angreifern ihre goldene Halskette als Lösegeld anzubieten.
    Später, als die Bestattungsfeierlichkeiten vorbei waren, nahm Trithar Luma beiseite. »Bereust du es immer noch, daß du den Nomaden getötet hast?« fragte er.
    Als sie darüber nachdachte, stellte Luma zu ihrer Überraschung fest, daß sie tatsächlich noch immer Reue fühlte. Ihr wurde bewußt, daß sie niemals ohne Reue würde töten können, und daß sie zweifellos immer, wenn sie gezwungen war, einen feindlichen Krieger in den Tod zu schicken, wünschen würde, sie hätte es irgendwie vermeiden können. Aber sie konnte Trithar sagen, daß sie sich nicht länger schuldig fühlte. Beim Anblick jener kleinen Plattformen so hoch oben in den Baumkronen war ein großer, unsichtbarer Vogel der Vergeltung vom Himmel geflattert und hatte die Schuldgefühle aus ihrem Herzen gepickt.
     
    Die Nattern blieben drei Tage in Ver Sha La, um ihren Pferden eine Ruhepause zu gönnen und sicherzugehen, daß keine weiteren Nomadenüberfallkommandos im Anmarsch waren. Am Morgen des letzten Tages, als sie sich gerade zum Aufbruch bereitmachten, traf ein Händler aus dem Westen ein – ein kleiner, nervöser Mann, dem zwei Schneidezähne fehlten und der einen Korb voller seltener Kräuter auf dem Rücken trug. Es war ein leichter Korb – oft waren sie mit Muscheln und steinernen Äxten gefüllt –, aber es schien, als würde er von seinem Gewicht niedergedrückt. Er ließ ihn mit einem matten Lächeln auf den Boden fallen, als sei er kurz davor, unter seiner Last zusammenzubrechen. Wie es bei ihnen Brauch war, boten die Dorfbewohner ihm einen Becher mit kühlem Fruchtsaft an und luden ihn ein, ins Dorf zu kommen und seine Waren auszubreiten, doch er lehnte sowohl den Fruchtsaft als auch die Einladung ab und strebte geradewegs auf die Nattern zu.
    »Möge die Göttin Erde euch segnen«, sagte er zu Kandar, den er zu Recht für ihren Anführer hielt. Beim Sprechen pfiffen die Worte durch die Lücke zwischen seinen Zähnen, aber an dem Ausdruck in seinen Augen war ganz und gar nichts Komisches. Noch bevor er zu erzählen begann, merkten sie, daß er völlig verstört und verängstigt war.
    »Und möge Sie auch dich segnen«, erwiderte Kandar höflich.
    Der Mann kaute auf seiner Unterlippe herum und musterte die übrigen Mitglieder des Verbandes, die damit beschäftigt waren, ihre Satteltaschen zu packen und die Sattelgurte zu überprüfen. »Ich habe Nomaden gesehen«, erklärte er unvermittelt.
    Das war eine schlimme Nachricht. Die Männer und Frauen hielten mitten in ihrer Tätigkeit inne und wandten sich zu ihm um, um zu hören, was er zu berichten hatte.
    »Wo?«
    »Nordwestlich von hier, vor ungefähr fünf Tagen. Eines Morgens hockte ich hinter einem Baum und verrichtete still mein Geschäft, da sind sie an mir vorbeigeritten, ohne mich zu sehen. Ich hatte fürchterliche Angst, das kann ich euch sagen – so entsetzliche Angst, daß ich blieb, wo ich war, und mich den Rest des Tages nicht mehr von der Stelle rührte.«
    »Wie viele waren es?«
    »Acht, glaube ich, vielleicht auch neun oder zehn. Ich war zu erschrocken, um sie zu zählen. Sie sahen schrecklich aus: fast so nackt, wie die Göttin sie erschuf, mit roten und schwarzen Gesichtern und abscheulichen Tätowierungen, und mit genug Waffen für zwanzig Männer.«
    »Führten sie ein überzähliges Pferd am Zügel?«
    »Nein.«
    »Dann waren es wahrscheinlich nicht die Nomaden, die Ver Sha La angegriffen haben.« Kandar blickte Lelsang an, der zustimmend nickte. Lelsang war das älteste Mitglied des Verbandes – ein großer Mann mit einer bläulich verfärbten Narbe im Gesicht, die ihn grimmiger aussehen ließ, als er tatsächlich war. Er war bei der Belagerung von Shara von einem Nomadenpfeil getroffen worden, als er mit den Bogenschützen gekämpft hatte, um die Stadt zu retten, und obwohl er tot oder lebendig keine Zuneigung für die Nomaden empfand, war er im Laufe der Jahre so etwas wie ein Nomadenexperte geworden. Kandar verließ sich oft auf seinen Rat.
    »Diese rote und schwarze Farbe in ihren Gesichtern ist ein schlechtes Zeichen«, erklärte Lelsang.
    »Inwiefern?« wollte der Händler wissen.
    Lelsang blickte nachdenklich drein. »Nach dem, was du mir erzählt hast, würde ich sagen,

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