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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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leuchtendbunten Blumen bemalt. Die Blumen auf den Häusern von Ver Sha La waren Blumen aus Träumen und Phantasien: Ihre Blütenblätter waren so riesig wie die Segel der Raspas, ihre Stempel leuchtend orangerote und goldene Bälle. Blütenstaub von der Farbe des Sonnenlichts haftete an ihren Staubgefäßen, und sie waren so täuschend echt, daß es einen fast wunderte, daß sie sich nicht auf ihren Stengeln wiegten, als die erste Abendbrise durch das Dorf wehte.
    Über den Blüten schwebten Bienen, so groß wie kleine Hunde, aber auch die Bienen waren Geschöpfe aus der Traumwelt, herbeigezaubert von Priesterinnen, die wilden Honig gegessen haben mußten. Sie trugen menschliche Gesichter: lächelnde Münder, von langen Wimpern umkränzte Augen und Zungen, die aussahen, als wären sie in etwas Süßes und Klebriges getaucht. Die steinerne Statue von Susshaz, der Bienengöttin, die in der Mitte des Dorfes stand, hatte das Gesicht einer schönen älteren Frau mit Augen in Form von Honigwaben und Haar aus winzigen Bienen. Die sechs Bienenbeine der Göttin endeten in Händen, die einen Topf mit süßem Honig hielten. Echte Bienen schwärmten summend um die Töpfe und bedienten sich.
    Luma konnte sich nicht erinnern, daß früher derart viele Bienen um Susshaz' Statue geschwirrt waren, aber sie erkannte bald, daß die Bienenschwärme dort waren, weil sich noch etwas anderes verändert hatte: die Reihen kegelförmiger Bienenkörbe, die früher außerhalb des Dorfes gestanden hatten, standen jetzt in der Dorfmitte, aufgebaut auf langen Holzborden und geschützt durch den Erdwall. Vielleicht hatten die Nomadenüberfallkommandos eine Vorliebe für wilden Honig entwickelt, doch Luma glaubte nicht so ganz daran. Eine einleuchtendere Erklärung war, daß heutzutage alles Wertvolle geschützt werden mußte.
    Da sie in Ver Sha La keine Menschenseele antrafen, schlüpften die Nattern wieder zum Tor hinaus und machten sich auf die Suche nach den Dörflern. Kandar erklärte, bei den Bewohnern der Siedlungen nördlich von Shara sei es üblich, sich im Wald zu verstecken, sobald sie Hufgetrappel sich nähern hörten. Er hatte jedoch keine Idee, warum die Leute von Ver Sha La geflohen sein könnten, besonders da sie sich die Mühe gemacht hatten, einen so starken Befestigungswall zu bauen.
    Luma erinnerte sich noch vage daran, daß es östlich der Stadt eine Art heilige Quelle gab, deshalb ritten sie zuerst in diese Richtung, allerdings ohne Erfolg. Sie kehrten nach Ver Sha La zurück und strebten von dort aus nach Westen, und bald trafen sie tatsächlich auf die Dörfler, die sich jedoch nicht vor feindlichen Kriegern versteckten, sondern sich im Wald versammelt hatten, um ihren Toten die letzte Ehre zu erweisen. Es waren insgesamt vielleicht fünfzig Dorfbewohner, alle in Weiß gekleidet, das überall in den Mutterländern als Farbe der Trauer galt. Als Kandar mit ihnen sprach, erfuhr Luma, daß bei dem Nomadenüberfall vier Bewohner von Ver Sha La ums Leben gekommen waren. Die Leichen der vier Opfer waren bereits gewaschen und auf Plattformen in den Baumkronen hinaufgeschafft worden, damit die Vögel sie zur Muttergöttin zurückbringen konnten, aber die letzten Bestattungstänze waren noch nicht beendet und die letzten Bissen des Trauermahls noch nicht verzehrt.
    Die Nattern wurden als Retter umarmt und bewirtet, und obwohl die Dorfbewohner einhellig der Meinung waren, daß der Gerechtigkeit Genüge getan worden war, konnte nichts die Toten wieder zum Leben erwecken. Die Männer und Frauen weinten, als die Nattern ihnen die Packpferde und das Fleisch von ihrem geschlachteten Vieh übergaben. Sie reichten die goldene Halskette mit den tanzenden Priesterinnen von Hand zu Hand weiter und küßten sie ehrfurchtsvoll.
    Die Halskette, so schien es, hatte ihrer Dorfmutter gehört, die den Fehler gemacht hatte, hinter dem Schutzwall hervorzukommen, um mit den feindlichen Kriegern zu verhandeln und zum Dank dafür von einem Pfeil ins rechte Auge getroffen worden war. Die Dorfbewohner nahmen die Nattern bei den Händen und führten sie von einem Baum zum anderen, zeigten zu den Plattformen hinauf und nannten die Namen derjenigen, die dort oben den ewigen Schlaf schliefen. So erfuhr Luma, daß drei der vier Toten Kinder unter sieben Jahren waren. Die Kinder hatten das Vieh gehütet, als die Nomaden angriffen. Die Krieger hatten sie wie Hasen gehetzt und sie aus purem Spaß niedergestreckt, obwohl von ihnen keinerlei Bedrohung ausging. Deswegen

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