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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ergibt!«
    Zwei Tage lang sprach Luma kaum ein Wort mit Keshna, aber entweder merkte Keshna es nicht, oder sie nahm ganz bewußt keine Notiz davon. Sie fuhr unbekümmert fort, laut zu singen, vor sich hin zu summen und wie ein Flußotter im Bach herumzuplantschen. Dann wachte Luma eines Morgens früher auf als gewöhnlich, steckte den Kopf unter der Decke hervor und begriff augenblicklich, was Keshna die ganze Zeit über ausgebrütet hatte. Auf der anderen Seite des Feuers schliefen zwei Gestalten Seite an Seite unter einem einzigen großen Umhang aus Schafsfell. Die kleinere der beiden Gestalten hatte wildgelocktes braunes Haar mit rötlichen Lichtern, die andere einen Haarschopf von der Farbe eines Rabenflügels. Die Satteltaschen, die sie als Kopfkissen benutzten, gehörten Keshna, der Umhang, den sie teilten, war Kandars.
    Endah wachte als nächste auf, und als sie die beiden dicht aneinandergeschmiegt unter dem Schaffell schlafen sah, beugte sie sich zu Luma. »Sieht ganz so aus, als wären Keshna und Kandar zu einer Art Einigung gekommen«, flüsterte sie.
     
    An dem Nachmittag, als die Nattern zu ihrem langen Ritt nach Nordwesten aufbrachen, um einen Nomadenkriegerverband aufzuspüren, den es in Wirklichkeit gar nicht gab, war Brusang, der Händler, in südöstlicher Richtung zu dem Ort gelaufen, wo die Nomaden tatsächlich kampierten. Er rannte wie ein von panischem Schrecken erfaßtes Kaninchen, wie ein Mann, der dem Tod davonzulaufen versuchte. Einmal stolperte er und stürzte in ein schlammiges Erdloch, aber er kämpfte sich wieder auf die Füße, wischte sich den Schlamm aus den Augen und rannte weiter.
    Ein Stück weiter voraus in dem Nomadenlager wurde seine Mutter, Lampasha, von einem einäugigen Häuptling, dessen Namen Brusang nicht aussprechen konnte, als Geisel gefangengehalten. Vielleicht war er auch gar kein richtiger Häuptling, denn er und seine Männer gehorchten einem anderen, sehr viel mächtigeren Mann, der sie herumkommandierte wie Sklaven. Aber ganz gleich, ob Häuptling oder nicht – er besaß eine schreckliche Waffe. Dabei wirkte sie auf den ersten Blick eigentlich ziemlich harmlos: Es war nur ein Stück Schnur aus rohem Leder, ungefähr so lang wie der Arm eines Mannes und so dick wie sein kleiner Finger; aber um den Hals eines lebenden menschlichen Wesens geschlungen, strangulierte sie ihr Opfer in Sekundenschnelle und führte zum sicheren Tod. Als der Häuptling ihm zum ersten Mal seine Schnur gezeigt hatte, die er »Garotte« nannte, hatte Brusang nicht begriffen, wie gefährlich sie war, doch dann war einer seiner Neffen durch die Würgeschlinge gestorben und wenig später ein zweiter. Jetzt lebte nur noch seine Mutter, und der Häuptling hatte gedroht, auch sie würde sterben müssen, wenn Brusang es nicht schaffte, vor Sonnenuntergang wieder in dem Nomadenlager zu sein.
    Er dachte ununterbrochen an sie, während er keuchend durch den Wald rannte: seine liebe Mutter, die nie in ihrem Leben irgend jemanden absichtlich verletzt hatte. Ihre Mutter – seine Großmutter – war eine berühmte Jägerin gewesen, aber Lampasha war zu weichherzig gewesen, um Rehen und Hirschen ihre Pfeile in die Brust zu schießen. Ihre drei Kinder hatten sich stets darüber lustig gemacht, daß sie, wenn sie Wildgulasch kochte, das Fleisch mit ihren Tränen salzte. Lampasha hatte sich auf Tauschhandel verlegt, weil sie die Jagd verabscheute, und jetzt hatte dieser einäugige Häuptling – dieses feige, elende Stück Ziegenscheiße von einem Häuptling – sie in Fesseln gelegt wie ein Schwein, das geschlachtet werden sollte. Zweifellos vertrieb er sich noch immer die Zeit damit, ihr die Garotte über den Hals zu ziehen, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Als Brusang daran dachte, welche Todesängste seine arme Mutter ausstehen mußte, fing er an zu weinen, und die Tränen vermischten sich mit dem Schlamm in seinem Gesicht und bildeten bräunliche Streifen wie bei einer Trauermaske. »Liebe Batal«, betete er inständig, »liebe Batal«, doch er war so außer Atem, daß sein Gebet nie über diese beiden Worte hinauskam.
    Während er durch den Wald lief, wanderte die Sonne unablässig weiter über den Himmel. Er blinzelte gerade zu ihr hinauf und versuchte zu berechnen, wieviel Zeit ihm noch blieb, als plötzlich eine Hand aus einem Gebüsch herausschoß, ihn an den Haaren packte, ihn grob schüttelte und ihm dann einen kräftigen Stoß versetzte, so daß er zu Boden stürzte.
    »Du hast

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