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Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde

Titel: Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Lumas Stimme schien sie wieder zur Vernunft zu bringen. Sie blickte auf, sah in die grimmigen Mienen der Nattern und begriff, daß sie zu weit gegangen war und daß jetzt niemand mehr auf ihrer Seite stand, nicht einmal mehr Luma. Ihr Mund öffnete sich zu einem verdutzten »O«, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. Ihre Stimme bebte. Sie drehte sich zu Kandar um und legte die Handflächen zusammen, so wie es die Mutterleute taten, wenn sie Reue bekunden wollten. »Es tut mir wirklich schrecklich leid. Wie konnte ich nur so etwas Gemeines sagen? Ich habe es nicht so gemeint. Bitte verzeih mir.« Ihre Entschuldigung wirkte aufrichtig, und vielleicht war sie es ja auch; aber genau wissen konnte man das nie. Sie mußte sich bewußt sein, wie bezaubernd sie aussah, während sie dort stand und ihr Gesicht flehend zu Kandar erhob. Ihre dunklen Augen glänzten vor Tränen, und an ihren langen, schwarzen Wimpern hingen winzige Tröpfchen. Die Sonne, die hinter ihr stand, schien durch ihr Haar und verwandelte es in eine üppige Masse rot-goldenen Feuers, ihre Wangen waren rosig überhaucht vor Scham.
    Er wird ihr auch diesmal wieder verzeihen, dachte Luma. Na ja, wer könnte es ihm verübeln? Welcher Mann könnte einer solchen Schönheit widerstehen? Und für einen Moment war sie eifersüchtig auf Keshna, die immer bekam, was sie wollte, indem sie ganz einfach hübsch aussah.
    Aber sie hatte Kandar unterschätzt. Er mochte Keshna vielleicht lieben, doch seine Krieger liebte er noch mehr, und er würde es nicht dulden, daß jemand einen Keil zwischen sie trieb. »Steig auf dein Pferd«, sagte er kalt. »Ich will kein Wort mehr von dir hören, bis wir nach Ver Sha La kommen. Morgen reiten wir zurück nach Shara und übergeben dich Ranala.«
    Plötzlich wich alle Farbe aus Keshnas Gesicht. »Du kannst mich doch nicht aus dem Nattern-Verband werfen!« rief sie. »Das kannst du nicht! Bitte tu das nicht, Kandar! Bitte! «
    Kandar weigerte sich, mit ihr darüber zu diskutieren. »Sitz auf«, wiederholte er, und ausnahmsweise gehorchte Keshna ohne ein weiteres Widerwort.
     

9. KAPITEL
    Schweigend ritten sie nach Ver Sha La, wobei sie die erbeuteten Pferde in einer langen Reihe mit sich führten. Sie erreichten ihr Ziel am späten Nachmittag, als das verblassende Sonnenlicht die Baumkronen mit goldenen Tupfen sprenkelte. Luma hatte Ver Sha La als ein hübsches kleines Dorf in Erinnerung, umringt von Oleanderbüschen, Rhododendren und Azaleen, doch als sie aus dem Wald herausritten, sah sie nichts von alledem. Ver Sha La war nach der Belagerung von Shara gegen Nomadenangriffe befestigt worden, so daß jeder, der sich nun dem Dorf näherte, zuerst nur einen hohen Wall aus festgestampfter Erde sah, gekrönt von zugespitzten Pfählen und dornenbewehrten Brombeerranken. Die einzige Öffnung in dem Wall war ein schmaler Durchgang, gerade breit genug, daß eine Person seitlich hindurchschlüpfen konnte.
    Luma mußte zugeben, daß dies eine kluge Methode war, um Nomadenkrieger davon abzuhalten, das Dorf auf Pferden zu stürmen; doch für die Bewohner von Ver Sha La mußte die enge Öffnung in dem Wall sehr unbequem sein, besonders wenn sie sich mit schweren Wasserkrügen oder sperrigen Feuerholzbündeln beladen hindurchzuzwängen versuchten. Andererseits wurden sie auf diese Weise Dutzende Male am Tag daran erinnert, daß sie in Gefahr waren, und das war wahrscheinlich gut so.
    Die Nattern saßen ab, banden ihre Pferde an mehrere größere Pfähle und näherten sich dem Tor. Sie riefen laut, daß sie Krieger aus Shara seien und in friedlicher Absicht kämen, um das Dorf zu verteidigen, aber niemand reagierte auf ihr Rufen oder kam an das Tor, um sie hereinzubitten. Es war ein seltsames Gefühl, die eigenen Worte in der Stille widerhallen zu hören. Als sie ihre Ankündigungsversuche schließlich aufgaben, dämmerte ihnen die Erkenntnis, daß Ver Sha La – während sie gegen die Nomaden gekämpft hatten – vielleicht ein zweites Mal von einem noch größeren Kriegerverband überfallen und alle seine Bewohner nieder-gemetzelt worden waren.
    Luma wappnete sich innerlich gegen den Anblick eines grauenhaften Blutbades, doch als sie durch die Öffnung in dem Wall schlüpfte, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, daß alles noch genauso war, wie sie es in Erinnerung hatte. Die bienenkorbförmigen Mutterhäuser standen noch immer in einem Kreis, einige mit roten und blauen Spiralen, andere mit

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