Althalus
rief Bheid. »Sobald etwas geschehen ist, kann es nicht mehr verändert werden.«
»Behalte das gut im Gedächtnis, Bheid«, riet ihm Emmy. »Vielleicht hilft es. Daeva jedoch scheint nicht deiner Meinung zu sein. Er glaubt, dass er die Vergangenheit verändern kann -indem er die Gegenwart verändert. Deshalb haben wir uns zusammengefunden. Wir sollen verhindern, was Daeva versucht. Was in diesem Alb traum geschah, wird auf ähnliche Weise wieder geschehen. Ihr werdet Dinge sehen, die sich gar nicht ereignet haben - und ihr werdet nicht immer schlafen, wenn ihr diese Dinge seht.«
»Das macht keinen Spaß mehr, Emmy«, beschwerte Eliar sich. »Wenn diese Wachträume aus dem Nichts kommen wie das Erlebnis vorhin, wie können wir da erkennen, was echt ist und was nicht? «
»An dem Wimmern«, erklärte sie. »Wann immer ihr das Wimmern in der Ferne hört, werdet ihr wissen, dass Ghend die Vergangenheit verändern möchte. Ebenso wird dieses Wimmern euch verraten, dass ihr euch nicht in der Gegenwart befindet. Ihr könnt in die Vergangenheit oder in die Zukunft versetzt sein, auf keinen Fall aber befindet ihr euch an dem Ort, der das Jetzt genannt wird.«
Althalus blickte nach Osten, wo das erste fahle Grau des neuen Tages den Horizont berührte. »Es ist fast Morgen«, wandte er sich an sein e Gefährten. »Packen wir unsere Sachen zusammen und brechen auf.«
»Aber vorher frühstücken wir doch, nicht wahr?«, fragte Eliar mit besorgter Stimme.
Althalus seufzte. »Aber sicher, Eliar, vorher wird gefrühstückt.«
Die Sonne ging auf, als die Fähre sie über die Westgabelung des Flusses brachte. Nachdem sie auf dem Weg nach Westen ein paar Meilen zurückgelegt hatten, ritt Bheid zu Althalus' Seite. »Können wir reden?«, fragte er.
»Ich nehme an, das ist gestattet«, antwortete Althalus.
»Wie habt Ihr herausgefunden, wo das Buch Deiwos' sich befindet? Seit ich ein Junge war, hörte ich Geschichten darüber. Seit Jahrhundeten streiten Priester und Gelehrte sich über die Existenz und Bedeutung dieses Buches. Die meisten meiner Lehrer behaupteten, dass es sich dabei in Wirklichkeit um den Nachthimmel handle, doch einige waren der Meinung, dass es wahrhaftig existiert. Offenbar waren sie diejenigen, die Recht hatten.«
»Ja.« Althalus nickte. »Das Buch gibt es wirklich.«
»Wie habt Ihr es gefunden? Kam Gott in einer Vision zu Euch?«
Althalus lachte. »Nein, es war nicht Gott, der zu mir kam, sondern Ghend.« »Ghend?« »Er suchte mich auf und warb mich an, das Buch für ihn zu stehlen. Er sagte mir auch, wo ich das Haus finde.«
»Warum sollte ein ehrlicher Mann sich auf so etwas einlassen?«
»Ein ehrlicher Mann hätte es wohl auch nicht getan. Doch mir waren solche Probleme fremd. Ich bin ein Dieb, Bheid.«
»Ein Dieb?«
»Das ist ein Mensch, der Dinge stiehlt. Ich bin vermutlich der beste Dieb der Welt und habe mir in diesem Gewerbe einen guten Ruf geschaffen. Deshalb suchte Ghend mich auf und versprach, mich fürstlich zu bezahlen, wenn ich das Buch für ihn stehle. Dann beschrieb er mir, wo es sich befindet.«
»Im Haus am Ende der Welt?«
»So nennt man es zumindest. Es steht am Rand einer Klippe im nördlichen Kagwher und ist das größte Haus, das ich je gesehen habe. Doch es steht so gut wie leer. Nur ein Zimmer ist eingerichtet - das, in dem sich das Buch befindet. Und Emmy war natürlich auch dort. Sie schalt mich, weil ich mich so sehr verspätet hatte. Ich dachte anfangs,
ich hätte den Verstand verloren. Und dann befahlsie mir, dass ich endlich aufhören sollte, mich dumm aufzuführen, und lehrte mich das Lesen.«
»Aus Deiwos' Buch?«, vergewisserte Bheid sich ehrfürchtig.
»Ein anderes Buch gab es dort nicht.«
»Wie sieht es aus? «
»Es ist eine mit weißem Leder überzogene Schatulle, in der sich die einzelnen Seiten befinden -unendlich viele. Emmy war immer schrecklich wütend, wenn ich sie durcheinander brachte. Nun, jedenfalls lernte ich das Buch zu lesen, und dann entdeckten Emmy und ich eine Möglichkeit, miteinander zu reden, ohne dass wir unsere Stimmen benutzen mussten. Darauf verließen wir das Haus, um den Dolch zu suchen. Wir fanden heraus, dass Eliar ihn besaß. Er ist Söldner und kämpfte in einem bereits vierzig oder fünfzig Generationen währenden Krieg zwischen Kanthon und Osthos. Eliar führte einen Sturm auf die Mauer von Osthos und tötete dabei den Aryo im Kampf. Das gefiel Andine, der Tochter des Aryos, ganz und gar nicht, und so dachte sie sich die
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