Althalus
Sobald sie sich im Innern des gewaltigen Gebäudes befanden, führte sie ihn zu den Privatgemächern der Arya. »Sie schläft«, teilte Emmy ihm mit. »Vor ihrer Tür halten zwei Gardisten Wache. Ermuntere sie zu einem Nickerchen.«
»Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«
»Red nicht so viel. Sag einfach ›leb‹.«
»Und das erfüllt seinen Zweck?«
»So war es bisher immer. Aber du solltest die Männer wecken, nachdem wir uns zurückgezogen haben. Man würde es für merkwürdig halten, wenn sie fünfzig oder sechzig Jahre an einem Stück schliefen, so wie du es im Haus getan hast.«
»So hast du das mit mir gemacht?«
»Allerdings. Beeil dich, Althalus, die Nacht dauert nicht ewig.«
Die beiden Gardisten blieben an der Tür stehen, doch ihr Kinn war auf die Brust gesunken und sie schnarchten leise. Althalus griff an ihnen vorbei zur Klinke.
Da zischte Emmy plötzlich.
»Was ist los?«, flüsterte er.
»Argan!«
»Was ist ein Argan?«
»Er ist kein Was, sondern ein Wer. Die Wache links von der Tür ist Argan.« »Müsste ich den Namen kennen?« »Später, ja. Argan ist einer von Ghends Knechten.« »Wie praktisch.« Althalus griff nach seinem Dolch. »Steck ihn weg!«, befahl Emmy abfällig. »Es wäre eine einfache Lösung, Em.« »Vielleicht, aber wie willst du das Problem lösen, das sich später ergeben wird?«
»Was für ein Problem?«
»Den Mann ins Leben zurückzubringen, wenn er unbedingt lebendig und in guter Verfassung sein muss.« »Ich fürchte, das habe ich jetzt nicht verstanden.« »Das hab ich auch nicht angenommen. Steck den Dolch weg,
Althalus. Nicht du bist es, der mit Argan abrechnen muss. Genauso wenig wie es deine Aufgabe war, mit Pekhal oder Khnom Schluss zu machen. Lass ihn in Ruhe.«
»Einen Moment, Em. Ghend wusste also, dass wir hierher kommen?«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Woher? «
»Vermutlich hat Daeva es ihm gesagt.«
»Und wie hat Daeva es herausgefunden?«
»Auf die gleiche Weise wie ich natürlich. Wir hören Dinge, die du nicht hören kannst, Althalus. Ich weiß über Personen wie Khnom und Pekhal und Argan Bescheid, und Daeva über Menschen wie Eliar und Bheid und Andine. Sie sind bedeutende Leute, und von bedeutenden Leuten geht ein bestimmter Ton aus, den nur wir vernehmen können. Lass Argan in Ruhe, und sehen wir zu, dass wir Andine herausbringen, ehe er aufwacht.«
13
Der bleiche Schein des Vollmonds fiel durch das offene Fenster auf das Gesicht der schlafenden Arya. Die volle Pracht ihres schwarzbraunen Haares lag auf dem Kopfkissen ausgebreitet und der Schlaf hatte den gebieterischen Ausdruck ihres Gesichts gemildert, sodass sie nun sehr sehr jung und verwundbar aussah.
Lautlos wie ein Schatten huschte Emmy zum Bett und setzte sich auf das Kopfkissen der Schlafenden. Ihre grünen Augen wirkten geheimnisvoll, während sie Andines Antlitz betrachtete. Dann fing sie zu schnurren an.
»Wie kriegen wir sie hier heraus?«, fragte Althalus stumm. »Ich könnte sie vermutlich tragen, aber…« »Sie wird selbst gehen«, antwortete Emmy. »Sieh dich nach Kleidung für sie um und vergiss einen dunklen Umhang nicht.« »Muss sie nicht wach sein, um zu gehen? Und wird sie nicht schreien, sobald sie die Augen öffnet?« »Ich weiß, was ich tue, Althalus. Vertrau mir. Und jetzt hol ihr etwas zum Anziehen.«
Althalus kramte in einer Truhe, bis er passende Reisekleidung, Stiefel und einen gut geschneiderten Umhang gefunden hatte. Als er sich umdrehte, sah er, dass Andine auf der Bettkante saß. Ihre großen Augen waren weit offen, trotzdem schien sie nichts um sich herum wahrzunehmen.
»Bündle ihre Sachen einfach zusammen«, befahl Emmy. »Ich werde dafür sorgen, dass sie sich anzieht, sobald wir aus der Stadt sind. Der Umhang genügt einstweilen.«
Andine stand auf und hielt Emmy in den Armen. Noch immer waren ihre Augen blicklos.
Althalus legte dem Mädchen den Umhang über die Schultern. »Wie lange kannst du sie auf diese Weise schlafend halten?«, fragte er Emmy.
»Solange es nötig ist.«
»Sechs oder sieben Wochen wären keine schlechte Idee. Wenn das erste Gesicht, das sie beim Aufwachen sieht, Eliar gehört, könnte sie ziemlichen Lärm machen.«
Emmys Blick wurde nachdenklich. »Da magst du Recht haben«, murmelte sie. »Lass mich in Ruhe darüber nachdenken. Aber jetzt wollen wir gehen.«
Sie führten ihre Gefangene, die wie in Trance war, auf den Korridor, wo Althalus kurz stehen blieb, um das Gesicht des schlafenden Argan zu
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