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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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sind die Schweine. Nicht der Opa, der zwischendurch Herztabletten nehmen muss. Mit den abartigen jungen Gästen ...«. Ich bitte Herrn Sturm ein zweites Mal, etwas leiser zu sprechen, »hatte ich Ärger, nie mit den Alten.«

    »Ärger. Was hieß das praktisch?« »Ein Mal, ein einziges Mal, habe ich einem Kerl, der sturzbetrunken handgreiflich wurde gegen die Mädchen und gegen mich, ein Auge raus geschossen. Wurde als Notwehr gewertet vor Gericht.« »Das heißt, Sie hatten eine Pistole?« »40 Jahre lang, jawohl. Damit Sie nichts Falsches denken: Wir hatten immer eine familiäre Atmosphäre. Die drei ältesten Damen meiner Läden waren 21 Jahre bei uns und schreiben uns heute noch Weihnachtsgrüße!« »Uns?« »Ja. Meiner Frau und mir. Wir sind seit 46 Jahren glücklich verheiratet.«

    Ich bin irgendwie froh, dass sich der Kellner nähert und wissen will, ob alles recht war und er die Rechnung bringen darf. Mein knapp 80jähriger Gesprächspartner greift mit beiden feingliedrigen Händen in seinen Schal, lehnt sich zurück und bittet im Gentleman-Ton höflich um die Dessertkarte.
    »Wie denken Sie über Ihr eigenes Alter?«, frage ich und stehe zögernd auf. Herr Sturm lächelt und seufzt. »Also, Schuldgefühle habe ich keine. Ich hab’ immerhin in den
letzten Jahren schon fast 19.000 Unterschriften fürs Organspenden gesammelt! Ich finde das wichtig. Und ansonsten. Ja, wenn die Huren nicht bei mir gearbeitet hätten, hätten sie woanders gearbeitet. Und wenn die Gäste nicht bei uns gevögelt hätten, dann eben in ...« »Ich will gar nicht auf Moral hinaus, Herr Sturm«, unterbreche ich ihn und beobachte, wie der Kellner meinen Mantel von der Garderobe bringt, »sondern auf Ihre Lebensperspektive für die letzten anstehenden Jahre.« »Na ja, ich bin gespannt, ob mir der Herrgott Dank zollt, wenn ich in den Himmel komme.« »Dank? Wofür?« Ich schlüpfe in den Mantel und krame nach dem Autoschlüssel. »Dass ich über so viel Heuchelei aufgeklärt habe und damit vielleicht einigen Heuchlern das Handwerk legen konnte.« »Aber Sie haben doch vierzig Jahre lang von der Heuchelei gut gelebt!« Sein Eisbecher wird serviert. Giselher Sturm nickt, zuckt mit den Schultern und macht mit der Hand eine bedauernde Geste. »Wiederluege. Sali. Kommen Sie gut heim.«

    1,2 Millionen, denke ich auf der Autobahn nordwärts. Ich weiß zwar nicht, wie diese Zahl ermittelt wurde. Insider behaupten, dass so viele Männer pro Tag die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nähmen. 53 400.000 Damen gäbe es im horizontalen Gewerbe. 6 Milliarden Euro Umsatz jährlich kämen dabei rum. 54 Die Kundschaft wird entsprechend dem demographischen Wandel zunehmend älter. Da hatte mein Schweizer Rotlichtkönig früh den richtigen Riecher. Aber ist vorstellbar, dass es zukünftig auch zunehmend weibliche Kundschaft geben wird? Und noch ein Gedanke will mir nicht aus dem Kopf: Giselher Sturm verwendete kein einziges Mal das Wort »Freier«. War das dem Unterschied zum schriftdeutschen Sprachgebrauch
geschuldet? Der Begriff ist ja einerseits erstaunlich altmodisch – das mittelalterliche Brautwerben hieß »freien« – und andrerseits ist er ärgerlich verlogen. Ein »Freier« ist alles andere als frei. Er muss peinlich auf Anonymität bedacht sein. Die Hure »befreien« kann und will er erst recht nicht, und wenn die käufliche Triebabfuhr ihn dauerhaft »frei« machen würde, hätte Giselher nicht 40 Jahre lang »Stammgäste« gehabt.

13
WO WIR IM DURCHSCHNITT LIEGEN

    SEX. Was folgt diesem Wort, wenn es ohne Bilder in einem Buch oder einer Zeitschrift steht? Es folgen Ratschläge, die gerne mit Auszügen aus Statistiken garniert sind. Warum? Weil Männlein und Weiblein, Jung und Alt, gerne wissen möchten, wie sie ihren Sex »verbessern« können. Und weil alle wissen möchten, dass sie mit ihren Problemen mit dem Sex (oder ohne ihn) nicht alleine sind. Dabei könnte es die Zufriedenheit miteinander erhöhen und die Freude aneinander vertiefen, wenn wir Zahlen gegenüber eine heitere, selbstironische Skepsis behielten.

    Nichts gegen Sexualwissenschaftler, Urologen, Frauenärzte, Allgemeinmediziner, Paartherapeuten, Seelsorger und Soziologen, Kulturhistoriker und Klatschreporter, die aus den unendlichen Tiefen ihrer Seelengrubenbohrungen Sex-Belehrungen zutage fördern. Erst recht nichts gegen Leserinnen und Leser, die die Tipps tatsächlich ausprobiert und möglicherweise davon sogar profitiert haben. Kaum ein Ratschlag jedoch –

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