Altherrensommer
Tanzfläche, Bar und Schanklizenz bis morgens um 3.00 Uhr. Die Inneneinrichtung machte unmissverständlich klar, welche Gäste erwünscht waren: »Quickficker, zwei Drittel Frauen. Verheiratete
Frauen wohlgemerkt, die meisten über 40.« Mein verwirrt fragender Blick ist ihm nicht entgangen. »Zu Hause haben die doch nur noch ganz ausgefallenen Sex. Letzten Samstag ausgefallen, davor die Woche ausgefallen.« Giselher schaut prüfend, ob sein Witz bei mir ankommt, »... und nur mit ein paar kleinen Kugeln im Schritt geben die sich auf Dauer auch nicht zufrieden. Stimuliert die Vagina beim Gehen, gibt’s im Handel, kann sich aber wohl entzünden. Es gab auch Damen, die fuhren mit ihrer Eroberung nicht mal irgendwo hin, sondern machten’s gleich im Auto oder im Sommer auch draußen, und dann saßen die nach einer Stunde wieder bei mir im Cafe. Ein Paradies für junge Kerle, sage ich Ihnen.«
Giselher spürt, dass ich ihm nicht glaube. Oder will ich es ihm nur nicht glauben? Überall ist zu lesen, Frauen koste es Überwindung, Sex und Liebe voneinander zu trennen. Der Wunsch nach ganzheitlichem Geliebtwerden über den Orgasmus hinaus sei stärker, das weibliche Hormon Oxytocin sei eine Art »Vertrauensdroge«, die den Wunsch nach Bindung und Fürsorge bis lange nach dem Sex lebendig halte.
»Sie glauben mir nicht, stimmt’s?« Ich will unser Gespräch nicht schon bei der Vorspeise zum Kentern bringen und rudere zurück. »Doch, schon. Aber ich kenne einige Paartherapeutinnen und bin mit zwei, drei Psychologen befreundet, die sagen, dass die weibliche Seele ...«
Herr Sturm lacht laut auf. Zu laut für das gediegene Ambiente hier, finde ich. »Klar. Das mit dem Traum von dem einen, dem Märchenprinzen und der großen Liebe, meinen
Sie? Stimmt ja auch. Aber nicht immer. Und im Alter immer weniger. Warten Sie mal, bis unsere hurtigen Schweizer Pharma-Leute das Viagra für Frauen erfunden haben. Da werden Sie sich noch wundern, wie die älteren Damen Sex und Liebe voneinander trennen können.«
Beim Hauptgang kommt mein Gegenüber wieder auf die Vielfalt seines Wirkens zurück. Neben Kontakt-Cafés und Bars gab es z.B. einen Nachtclub mit Stripshows und sieben Separees. »Auf dringende Bitte des Oberbürgermeisters übrigens, damit die Ärzte, die Rechtsanwälte, die Apotheker und die Priester nicht bis nach Zürich fahren müssen, sondern ihr Geld hier in der Region ausgeben. Mit Tänzerinnen aus aller Welt. Und mit gehobener Kundschaft umzugehen war nicht leicht für mich. Muss man erst lernen.« Giselher hat genau registriert, bei welchem der genannten Berufe ich die Gabel beiseitegelegt hatte. »Die Priester, ja. Im Vorarlberg drüben war Prostitution verboten. Die Gegend ist aber genauso katholisch wie’s Allgäu oben. Einer der Hochwürden wollte die Kosten übernehmen, wenn ich ihm einen separaten Eingang bauen lasse.«
Nichts von alledem lässt sich überprüfen, denke ich noch, während Herr Sturm mir von riesigen Discotheken und kleinen Luxusvillen in den Bergen erzählt, von insgesamt acht »Läden« rund um den Bodensee. Hochrangige Kundschaft aus Polizei, Finanzbehörde und Justiz zu haben und zu halten, ist in seiner Branche von Vorteil. »Wenn Ihr Laden brummt, spricht sich das rum im Milieu. Da kommt dann schon mal einer und will sich beteiligen. Oder will Sie gleich ganz hops nehmen. Ich bin zu solchen Gesprächen
immer unbewaffnet gegangen. Ohne Angst. Weil ich sagen konnte: Bitte sehr, übernehmt ihn doch! Euch machen die Behörden morgen den Laden zu. Mir nicht!« Ich muss erst zu Ende kauen, bevor ich nachfrage: »Warum nicht auch Ihnen?« »Weil die Herren aus der Verwaltung bei mir Stammgäste waren und sich auf mich verlassen konnten.« »Warum um alles in der Welt geht jemand in ein videoüberwachtes Bordell und hängt seinen Ruf, seine Ehe, eventuell sogar sein politisches Amt an den seidenen Faden?!« »Das ist der Trieb. Das Hirn ist im Hintern und hilft schieben. Diese hormongesteuerte Unvorsichtigkeit wird nach dem Berufsleben übrigens noch schlimmer, wenn Sie kein Amt oder kein großes Ansehen mehr zu verlieren haben. Auf die Idee mit dem Rentnerpuff brachte mich erst ein befreundeter Kollege.«
Wir nähern uns dem Anlass unseres Treffens. Direkt hinter mir nimmt eine sechsköpfige Tischgesellschaft Platz. Ich ermuntere Herrn Sturm, weiter zu erzählen. Nur etwas leiser bitte. »Ich hab’ ja nebenbei noch mit Immobilien und Grundstücken gehandelt und da fiel mir auf, dass ein
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