Altherrensommer
Kollege in Deutschland billige Häuser direkt neben oder hinter Supermärkten kaufte und schick herrichtete. Warum? Bei Lidl oder Aldi wird doch genauso laut morgens um 5.00 Uhr Ware angeliefert wie bei Migros. Lastwagen, Müllwagen, Kundenparkplätze – furchtbar. Der Grund war einfach: Rentner gehen nicht abends ins Bordell. Da sitzen sie neben Mutti auf dem Sofa vor dem Fernseher. Die gehen morgens Gipfeli holen, vormittags zum Arzt oder ins Hallenbad und nachmittags zum Einkaufen. Wenn direkt daneben tagsüber etwas Warmes geöffnet hat, merkt das keine Ehefrau. Ich habe die Idee dann umgesetzt. Es lief
prächtig und war für alle Beteiligten angenehm. Wir mussten lediglich die Namen der Mädchen in größeren Buchstaben an die Türglocken schreiben.« Was das heißt, will ich wissen. Am Nebentisch wird es unangenehm still. »Die Männer zwischen 60 und 80 wollen keine ganz jungen Huren, weil sie Angst haben zu versagen. Mag sein, dass manche Männer bei einer 20-bis 30jährigen auch an die eigene Tochter denken müssen und dann nicht können. Von Ausnahmen abgesehen waren meist reifere Damen gefragt. Die sind selbstbewusst genug und haben ausreichend Geld verdient im Leben, um Gäste auch mal abzulehnen. Und die haben dann auf dem Zimmer auch genug Verständnis, wenn’s ewig dauert oder gar nicht mehr klappt.« »Und wenn’s gar nicht mehr klappt, muss er trotzdem zahlen?« »Vermutlich ja, aber damit habe ich ja nichts zu tun.« »Wieso nicht? Sie verdienten doch an ...«
Giselhers stahlharter Blick zeigt mir, dass ich soeben in einen Riesenfettnapf getreten bin. »Wollen Sie mich beleidigen? Ich bin doch kein Zuhälter! Das Geschäftsmodell ging so: Ich kaufe ein Haus und vermiete jedes Zimmer für 150,-€ die Nacht an eine Hure. Ob Frau Mieterin dort die ganze Nacht schläft oder sich Rösti brät oder ob sie zehn Kunden einen bläst und 3.000,- € in fünf Stunden verdient – das ist mir egal. Sie muss nur für jeden Gast, der mit ihr aufs Zimmer will, bei mir an der Bar eine Flasche Sekt kaufen für 150,- €. Bei Schampus oder Eiswein auch mal 380,- €. Und meistens bestellt der Kunde hinterher, so nach fünfzehn Minuten in der Erholungsphase, noch eine zweite Flasche. Ich vermietete Zimmer und verkaufte Getränke, basta. Das war mein Einkommen gegenüber der Steuer. Mit Prostitution direkt hatte ich eigentlich gar nichts zu tun.«
Ach so. Na dann. »Und was macht eine Prostituierte mit zehn, zwölf Flaschen Sekt?« Jetzt grinst mein Gesprächspartner verschmitzt, die Atmosphäre entspannt sich. »In den Separees der Tabledance-Lokale haben die jedes Glas diskret in den dicken Teppich geschüttet. Nach ein, zwei Jahren war das ein Art Textilsirup. Konnten Sie drin steckenbleiben. Musste dauernd erneuert werden.«
Das zieht einem ja die Schuhe aus, will ich sagen, verkneife es mir aber und komme wieder auf sein Rentnerbordell zurück: »Nach welchen Kriterien konnte ein besonders alter Gast abgelehnt werden?« »Oh, Sie unterschätzen die Menschenkenntnis der Professionellen! Denen sagt ein einziger Blick auf die Haare, den Hemdkragen, die Fingernägel, die Schuhe, wie’s drunter ausschaut. Ob er schon ein bisserl inkontinent ist oder Hautkrankheiten hat. Und dann sagt sie halt, merci vielmals, nicht mit mir. Schauen Sie: Was es in puncto Ekel vielleicht schwieriger macht, macht es im Fick leichter. Die steigen links auf und rollen rechts runter. Fertig. Oder sie wollen nur fummeln und gestreichelt werden. Macht ihnen daheim ja auch niemand mehr. Oder sie wollen nur plaudern. Und zahlen zwei-, dreihundert Stutz dafür!« »Franken?«, vergewissere ich mich. »Oder Euro. Ist ja inzwischen fast dasselbe. Lumpenpack, lumpiges.« Damit meint Giselher jetzt nicht die Puffgäste ab 60, vermute ich. Auch nicht die anderen Akteure seiner Branche, sondern wahrscheinlich die UBS- und Credit-Suisse-Manager, die Züricher Börsenhändler und Berner Bundesräte, die ihm in den letzten Jahren so manche Gewinnspanne zwischen Deutschland, der Schweiz und Liechtenstein vermasselt haben dürften. Zumindest beim Immobilienhandel.
Sein Blick hinaus auf den nächtlichen See, dessen Uferlaternen und Bootslichter sich romantisch auf der Wasserfläche spiegeln, wendet sich mir wieder zu und wird dabei fast stechend: »Und glauben Sie ja nicht, ich hätte auch nur eine meiner Damen gezwungen, mit Rentnern aufs Zimmer zu gehen! Die schleckigen Geschäftsleute zwischen 30 und 50 mit ihren perversen Porno-Ideen, das
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