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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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an«. Möglicherweise auf bis zu 6 Millionen. 58

    Obwohl wir uns gerne auf den Spruch berufen »Vertraue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast«, tun wir in der Regel genau zwei Dinge nicht: Die Zahlen sofort wieder zu vergessen oder sie eingehend zu überprüfen. Berufstätige haben keine Zeit dafür und Rentner nehmen sie sich selten, um die meist trockenen Studien gründlich zu studieren. Mit welcher empirischen Methode die Urheber der Zahlenwerke das alles herausgefunden haben wollen, warum und wozu überhaupt gefragt wurde und welche vorangegangene These widerlegt oder bewiesen werden sollte, wie alt die Umfrage-Ergebnisse sind, ob und wann sie von noch aktuelleren Ergebnissen abgelöst wurden – das alles könnten wir theoretisch via Google & Co mit viel Zeit und Energie herausfinden. Wir könnten uns ein eigenes Bild davon machen, ob die Zahlen wirklich so »ernüchternd« oder »alarmierend« sind, wie sie meist vorher angekündigt oder hinterher interpretiert werden. Wir tun es aber nicht. Sondern vergessen die Zahlen nie mehr. Und vergessen vor allen Dingen nicht, sie bei passender Gelegenheit zu zitieren.

    Zum kollektiven Erzählgut der Deutschen gehört inzwischen auch, dass sich die Lebenserwartung um 30 Jahre verlängert hat. Noch vor gut einem Jahrhundert – im Jahre 1910 – lag die durchschnittliche Lebenserwartung von
männlichen Neugeborenen bei 47 Jahren. Was statistisch der hohen Säuglingssterblichkeit, faktisch aber auch den körperlich auszehrenden Berufen geschuldet war. Heute werden Männer durchschnittlich 77 Jahre alt, Frauen 82,6 Jahre und jedes ab 2010 geborene Mädchen wird mit 50%iger Wahrscheinlichkeit älter als 100! Ebenfalls statistisch bewiesen ist die steigende Zahl von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Demenz und Alzheimer. Woraus sich schlussfolgern ließe: Wir leben immer kränker immer länger. Ein jahrzehntelanges Siechtum steht uns bevor. Das Gegenteil ist wahr und zwar deshalb: Je besser die medizinische Früherkennung und Diagnostik funktioniert, umso mehr Krankheitsfälle werden registriert. Ist ein Auf-Verdacht-untersuchter-Patient nach drei Wochen wieder fit, wird er aber nicht notwendigerweise aus der Statistik »gestrichen«. »Gesund« ist statistisch eigentlich nur, wer noch nicht vollständig untersucht wurde. Nun wird aber nicht nur die Diagnostik besser, sondern auch die Therapie. Vom Bypass und Herzschrittmacher bis zum künstlichen Hüftgelenk – viele segensreiche Errungenschaften tragen zu den hohen Lebenserwartungen von 77 bzw. 82,6 Jahren bei. Vorausgesetzt, die medizinische Forschung bleibt auf dem heutigen Stand. Was sie wahrscheinlich nicht tun wird. Ergebnis: Die Krankheitskurve steigt und die Sterbekurve setzt später ein. Dazwischen – fühlen sich Millionen alte Leute im Großen und Ganzen recht gesund, obwohl sie statistisch gesehen eigentlich krank sind.

    Dass »ein heute 50jähriger so fit wie 1970 ein 40jähriger und ein heute 65jähriger so gesund wie ein damals 55jähriger« ist, 59 schlägt sich inzwischen auch in den Sex-Dokumentationen nieder. Besonders auffällig ist, dass das Sexualleben
der heute über 60jährigen Männer und Frauen dem entspricht, was McKinsey einst lediglich bei den 30-bis 40jährigen beobachtet haben will. Eine beinahe banale Erkenntnis: Die Alten der 10er Jahre des 21. Jahrhunderts sind im Bett die Jungen der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Auch alte Leute wollen/brauchen/haben ein ganz normales Sexualleben. Sonst gäbe es ja nicht (Achtung, jetzt kommt die Zahl, die ALLE wissen wollen, die Sie NIE MEHR vergessen werden, obwohl sie KEINER je wirklich beweisen hat) – sonst gäbe es ja nicht durchschnittlich 1,5 Geschlechtsakte pro Woche. Einskommafünf. Pro Woche. Statistisch bewiesen! So die Befragten alle ehrlich geantwortet haben.

    Norbert Kluge und Marion Sonnenmoser von der Universität Koblenz-Landau wollten in ihrer Untersuchung im Jahr 2001 zum Sexualleben der Deutschen auch wissen, was die Befragten von anderen Liebenden denken. 25% aller Befragten glaubten damals, dass die anderen es häufiger täten als sie selbst.

    Ob die Verschämten von einst und die Angeber von heute nicht auch das ausgeklügelste Frage-System austricksen konnten, wissen nicht mal die Statistiker selbst. Das unverwüstliche Interesse an ihren«Ergebnissen« aber und die Lust, den Smalltalk im Freundeskreis mit »neuesten« Zahlen zu würzen, ist einfach zu erklären: Wir wüssten halt gerne, wie viele wir

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