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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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geschrieben?«
    »Geschrieben nicht. Er hat ihn übersetzt. Das Original ist italienisch und stammt von Beatrice Petazzi.«
    »Dachte ich mir«, knurrte ihr Mann. »Missbrauch! Ihnen hats wirklich ins Gehirn geschissen.«
    Seine Frau sah ihn verwundert an.
    »Ist doch wahr«, ereiferte er sich. »Was zieht der hier für eine alberne Show ab! Anstatt seinen Auftrag zu erfüllen, versucht er krampfhaft, dreckige Wäsche zu waschen. Hauptsache, er kann Flavio und Beatrice schlimme Dinge nachsagen.«
    »Das Verhältnis zwischen den beiden war schlecht«, sagte Renate Urban. »Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich habe euch gleich gesagt, dass sich so etwas nicht verheimlichen lässt.«
    »Aber mit Missbrauch hat es nichts zu tun!«, rief er. »Verdammt noch mal, wo leben wir hier eigentlich? Flavio hat die Trennung von seiner Frau nie überwunden und einen Teil dieser Kränkung auf Beatrice projiziert. Außerdem steht er rund um die Uhr in der Öffentlichkeit. Alles andere ist Humbug und Verleumdung.«
    »Von Verleumdung kann keine Rede sein«, sagte ich. »Ich habe Sie beide nur um Rat gefragt, wie dieser Text zu verstehen ist. Vermutlich verschleiert er ebenso viel, wie er verrät. Ich käme nie auf den Gedanken, Petazzi Missbrauch seiner Tochter vorzuwerfen. Nicht auf Grundlage von Beatrices Erzählung. Trotzdem verstehe ich sie als Hilferuf eines Mädchens, das sich von seinem Vater nie verstanden fühlte. Würden Sie dem zustimmen?«
    Nerius sah mich kalt an. Dann schüttelte er stumm den Kopf.
    »Und warum nicht? Weil Sie selbst sich dann fragen müssten, warum Sie diesen Hilferuf konsequent überhört haben. Wie alle, die vor dem großen Petazzi kuschen.«
    Er lachte wütend auf, aber seine Frau kam ihm mit der Antwort zuvor. »Jetzt übertreiben Sie, Herr Koller«, sagte sie. »Erstens kuschen wir nicht. Und zweitens lernten wir Beatrice erst in Heidelberg kennen. Hilferufe aus Italien sind von hier aus nur schwer zu vernehmen.«
    »Mag sein.« Ja, wenn Renate Urban gewusst hätte, dass ich sozusagen Experte für die Schwierigkeiten transalpiner Kommunikation war!
    »Außerdem«, ergänzte ihr Mann, »wehre ich mich grundsätzlich dagegen, diesen Text auf Beatrices Situation zu übertragen. Ihre Mutter ist nicht tot, sondern hat sich aus dem Staub gemacht. Sie hat keine Geschwister, und Ärztin ist sie auch nicht. Für mich ist die Geschichte bloß Ausdruck einer gewissen Stimmung, voller romantischer Bilder und romantischem Vokabular, fertig. Mit ihrem Vater hat das nichts zu tun.«
    »Natürlich sind es Bilder«, sagte ich. »Und Bilder stehen für etwas. Eine Ärztin heilt Wunden, die andere geschlagen haben. Vielleicht fühlte sich Beatrice als Ärztin, die …«
    »Blödsinn! Sie kannten sie überhaupt nicht.«
    »Gut«, nickte ich. »Lassen wir es dabei.« Ich schwenkte meine Tasse mit dem letzten Schluck Tee und unaufgelösten Kandiszuckerstückchen darin.
    »Darf ich den Text behalten?«, fragte die Galeristin.
    »Gerne. Ich habe mir eine Kopie gemacht. Signor Petazzi bekommt auch eine.«
    »Heute Abend im Tricolore«, sagte Nerius schroff und stand auf. »Mit Ihrem Abschlussbericht. Aber bitte ohne literarische Blindgänge.«
    »Wie Sie wünschen.«
    Ich blieb noch ein Weilchen bei Renate Urban sitzen. Über den Fall und die Petazzis sprachen wir nicht mehr. Ich fragte sie nach ihrer nächsten Ausstellung, sie mich nach meiner Exfrau. Wahrscheinlich lag es daran, dass keine rechte Plauderstimmung aufkommen wollte. Da konnten ihre Augen noch so grün funkeln.
    Außerdem bekam mir der Tee nicht. Als ich durch den Regen nach Hause fuhr, wurde mir abwechselnd heiß und kalt. Wie bei einer aufziehenden Grippe. Vielleicht revoltierte mein Kreislauf auch bloß gegen die abendlichen Dauergelage.
    Vor meiner Haustür traf ich einen durchnässten Briefträger und einen räudigen Köter, der ihm folgte. Der eine drückte mir einen Brief in die Hand, der andere kleckerte auf den Gehsteig. Gemeinsam trollten sie sich.
    »Haben Sie auf den Umschlag geheult?«, rief ich dem Briefträger nach und deutete auf die von einzelnen Tropfen verwaschene Schrift Christines. Er schüttelte den Kopf und zeigte nach oben. Typisch. Die Leute standen nicht zu ihren Problemen. Musste mal wieder Petrus herhalten.
    Ich schloss auf und ging nach oben. Eine kurze Nachricht auf meinem Anrufbeantworter: Maike wollte mich um fünfzehn Uhr in einer Marktplatzkneipe treffen. Sonst nichts. Der Brief lag auf meinem Tisch. Ich hatte einen

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