Altstadtfest
aufgegeben, etwas von Dir zu erwarten. Nur Dich, sonst nichts. Keine Bedingungen, keine Wünsche, keine Ansprüche, keine Forderungen, keine Einschränkungen, nichts. Nur Dich. Dir müsste es leichtfallen, Dich herzugeben. Du gehörst ja niemandem. Und aus Egoismus wirst Du Dich nicht behalten wollen, oder? Das Leben ist zu kurz, dass wir all unsere Egoismen ausleben. Nach dem Tod sind wir lange genug allein.
Überleg Dir das, Max. Ich weiß, wie schnell Dir das Wort Nein über die Lippen geht. Nein zu sagen, ist einfach. Das kann jeder. Aber Ja zu sagen, wenn man nicht gerade betrunken ist und in einem Bierzelt sitzt, ein Bekenntnis abzulegen, sich angreifbar zu machen, jemandem Blumen zu schenken – das erfordert Mut. Ich weiß, was Du sagen willst. Vergiss die Blumen. Sie sind mir eingefallen, weil neben mir auf dem Tisch eine Vase mit Sonnenblumen steht, die mir nickend beim Schreiben zusehen. Fehlt nur noch, dass sie Kommentare abgeben. Du bist der Einzige, der mir nie Blumen geschenkt hat, Max. Alle anderen, mit denen ich seither zusammen war, haben es getan. Vergiss die Blumen. Du weißt, wie ich es meine.
Das Dumme an Briefen ist, dass ihre Sätze etwas anderes sagen, als der Schreiber möchte; das Gute an ihnen ist, dass der Leser etwas anderes versteht, als die Sätze sagen. Mit ein wenig Glück treffen sich Leser und Schreiber so über Umwegen. Um Dir sagen zu können, wie nahe Du mir gehst, bin ich so weit wie möglich weggefahren. Das ist meine/Deine Art, Dir entgegenzukommen: durch Entfernung. Jetzt weißt Du, dass ich einen neuen Anfang mit Dir will. Nicht mit dem Max Koller von früher, dem Ehemann einer gewissen Christine Markwart, sondern mit dem jetzigen. Mit dem zweidimensionalen, der mir seine abgewandte Seite entzieht.
Schreib mir, Max. Oder schreib mir nicht. Am Sonntag komme ich zurück. Ich kann warten. Vielleicht lassen sich die entscheidenden Dinge im Leben klären, ohne dass man über sie redet.
Jedenfalls: Entscheide Dich.«
16
Es war wohl doch eine Grippe. Zu den Kreislaufbeschwerden gesellten sich Kopfschmerzen. Jeder Tritt in die Pedale kostete Überwindung. Am Neckar überholte mich eine rüstige Alte auf ihrem Hollandrad. Eine Weile genoss ich ihren Windschatten, dann ließ ich mich zurückfallen. Hinterradlutschen bei einer Rentnerin, das ging nicht. Nicht einmal in meinem Zustand.
»Ihr könntet mich ruhig ein wenig bemitleiden!«, rief ich den Ruderern zu, die sich hinter der Theodor-Heuss-Brücke flussaufwärts kämpften. »Vier gegen einen, das kann ja nichts werden!« Meter um Meter nahmen sie mir ab.
An der Alten Brücke endete die Zeitlupenwettfahrt. Vom Heidelberger Traditionskopfsteinpflaster durchgerüttelt, erreichte ich den Marktplatz und stellte mein Rad vorm Tartuffe ab.
Als ich die Kneipe betrat, raubte mir die angestaute Intelligenz den Atem. Sofort verstärkte sich mein Kopfweh. Professoren schlürften hier Kaffee mit ihresgleichen. Halbe Seminare bevölkerten die Tische. Der Lateiner debattierte mit dem Linguisten, Mediävisten dozierten im Stehen. Noch beim Pinkeln pflegte man interesseloses Wohlgefallen. Mein Freund Marc Covet behauptete, im Tartuffe gebe es eine Getränkekarte auf Altgriechisch. Selbst die Rosinenbrötchen sahen irgendwie gescheit aus.
Ich setzte mich auf einen Barhocker an die Theke und massierte meine Schläfen. Den momentanen Durchschnitts- IQ hatte ich glatt halbiert. Auch äußerlich konnte ich nicht mit den Gästen mithalten. Ins Tartuffe ging schließlich nicht jeder. Man durfte nicht zu gut und nicht zu schlecht aussehen, sondern einzig und allein: interessant. Wer hierherkam, hatte etwas. Etwas Ungewöhnliches, einen Spleen, einen hübschen Makel, etwas Irreguläres oder einfach einen offenen Hosenlatz, egal. Hauptsache, man konnte darüber sprechen, Theorien entwickeln, Gedankengebäude errichten. Und für die Pausen zwischen den Sätzen einen Pernod.
Die Frau hinterm Tresen hatte auf jeden Fall etwas Besonderes: hellblondes Kurzhaar und eisblaue Augen.
»Hallo, Detektiv«, sagte sie.
»Hallo, Maike. Wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.«
»Nur ausnahmsweise. Ich habe Beas ausstehende Dienste übernommen. Was trinkst du?«
»Gute Frage. Irgendwas Nichtalkoholisches.«
»Kaffee, Wasser, Saft, Tee?«
»Bloß keinen Tee. Ein Bier, bitte.«
Sie lachte und griff nach einem Glas. Als sie mir das Tartuffe als Treffpunkt nannte, dachte ich natürlich nicht daran, dass sie hier kellnern könnte. Beatrice hatte das getan,
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