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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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das wusste ich.
    »Ich habe früher hier gearbeitet«, sagte sie, »und Bea den Job vermittelt. Im Tartuffe nehmen sie gerne ausländische Studentinnen.«
    »Und nun machst du ihren Job?«
    »Nur noch heute und morgen. Ist doch Ehrensache.« Sie schlug mit der flachen Hand gegen den Zapfhahn und ließ Bier in das Glas laufen.
    »Keine Radtour am Wochenende?«, grinste ich.
    »Nein«, entgegnete sie rüde. Sie sah sich um und nahm eine Bestellung auf, um mir anschließend mein Bier zu reichen. »Was ist mit diesem Naziverein? In der Zeitung stand, es gab eine Razzia in Mannheim, aber alle waren ausgeflogen.«
    »Die werden geschnappt, keine Angst. Ist bloß eine Frage der Zeit. Beas Tod geht tatsächlich auf ihr Konto.«
    Sie kniff die Lippen zusammen. In ihren Augen schimmerte es verdächtig. Als sie meinen Blick sah, funkelte sie mich böse an.
    »Hör zu«, sagte sie. »Ich habe noch Sachen von Bea gefunden. Deshalb habe ich dich angerufen.«
    »Ihr Zimmer war doch leer.«
    »In unserem Fachschaftsschrank. Den hatte ich völlig vergessen. Es ist auch nicht viel, aber ganz interessant.« Sie langte unter den Tresen und zog eine prall mit Papieren gefüllte Plastiktüte ans Tageslicht.
    »Unterlagen? Was für welche?«
    »Schau sie dir an.« Schon war sie wieder am anderen Ende des Tresens verschwunden, um einen Pfeifenraucher im Cordjackett zu bedienen. Neben mir stand plötzlich eine Brünette mit Brille, die ihre Stupsnase so hoch reckte, wie es gerade noch schicklich war. Das hatte sie auch nötig, sie reichte mir nämlich höchstens bis zur Brust. Während sie in der Getränkekarte blätterte, nahm ich die Papiere aus der Tüte und breitete sie vor mir aus. Stirnrunzelnd rückte die Brünette etwas zur Seite.
    In der Hauptsache bestand das Konvolut aus Kopien: Zeitschriftenartikel, Auszüge aus Büchern, Zeitungsmeldungen. Dazwischen ausgedruckte Internetseiten, hin und wieder Handschriftliches, ein paar Fotos. Die Texte waren sorgfältig durchgearbeitet: Es gab Unterstreichungen und Hervorhebungen, Kommentare und Ergänzungen, alle von derselben Hand.
    Von Beatrices Hand, denn wer sonst hätte seine Randbemerkungen in Italienisch verfasst?
    »Romanist?«, fragte Miss Stupsnase mit einem interessierten Blick auf die Blätter.
    »Nee, Psychologe«, sagte ich.
    »Heavy.« Sie nickte anerkennend. Mir fiel auf, dass sie verdammt viele Karos an ihrem Körper trug. Ihr Rock, das Halstuch, die Strümpfe, alles kariert. Sogar ihre Haarschleife hatte ein Tartanmuster.
    Ich stützte einen Ellbogen auf den Tresen und begann, die Unterlagen durchzublättern. Um nicht dauernd nach meinem Bier greifen zu müssen, zog ich ein Schälchen mit Würfelzucker heran und spielte mit einem der Würfel. Nebenbei und ganz unabsichtlich. Miss Stupsnase bestellte einen Kirschlikör.
    »Und Chilicracker«, sagte sie. »Die superscharfen, ja?«
    Es war nicht leicht, einen Überblick über Beatrices Sammlung zu erhalten. Von einer Ordnung konnte keine Rede sein, außerdem war der größere Teil der Texte in Englisch oder Italienisch abgefasst. Ein deutscher Zeitungsartikel war allerdings aufschlussreich: Er beschrieb die Verflechtung von Politik und Wirtschaft in Italien am Beispiel Flavio Petazzis.
    Ich winkte Maike heran.
    »Bist du das Zeug mal durchgegangen? Gibt es da einen roten Faden?«
    »Das meiste sind Artikel über Firmen ihres Vaters. Wo er überall seine Finger drin hat. Offenbar wusste sie das nicht. Ein Teil der Kopien könnte aus ihrem Seminar über Globalisierung stammen. Interessant ist das hier.« Sie tippte auf eine Handvoll Blätter, die von einer Heftklammer zusammengehalten wurden. »Da geht es um einen Chemieunfall in der Nähe von Como. Vor einigen Jahren war das, in einer Lackfabrik, die ihrem Vater gehört.«
    »In Como?« Christine hatte mir am Telefon davon erzählt. Ich ging die Papiere durch. Berichte italienischer Zeitungen von 1999, ein kurzer Artikel aus National Geographic, schlecht kopierte Fotos. Und ganz hinten einige handschriftliche Namen und Telefonnummern. »Weißt du noch mehr?«
    »Ich hab das Zeug nur überflogen. Italienisch ist nicht gerade meine Stärke. Die Zeitungsmeldungen betreffen den Unfall selbst, außerdem Gerichtsurteile mit Entschädigungszahlungen und all dem Kram. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat sich in Como eine Selbsthilfegruppe gegründet. Anwohner, die an Spätfolgen des Unfalls leiden und noch einmal vor Gericht gehen wollen.«
    »Vielleicht gehören die Telefonnummern

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