Altstadtfest
zu ihnen.«
»Möglich.«
»In jedem Fall hat Beatrice recherchiert. Sie wollte wissen, was damals passiert ist.«
Sie nickte.
Ich schob ihr mein leeres Glas hin. »Machst du mir noch eins?«
»Keinen Tee?«, lächelte sie.
»Nächstes Mal vielleicht. Dass sie das Material im Auftrag ihres Vaters sammelte, können wir wohl ausschließen. Aber warum hat sie es im Fachschaftsschrank aufbewahrt?«
»Weil es praktischer war, denke ich mir. In unserem Fachschaftsraum steht ein PC mit Internetzugang und Drucker. Und vielleicht wollte sie zu Hause nicht an den Alten erinnert werden.«
»Hat sie je davon gesprochen, dass sie gegen ihren Vater vorgehen wollte? Dass sie einen Plan hätte oder zumindest den Wunsch, mit ihm abzurechnen?«
»Nein.«
»Keine Andeutung?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Um heißes Material wird es sich bei diesen Unterlagen kaum handeln. Ich meine, wenn das alles öffentlich zugänglich ist, oder?«
Sie sah mich an. Mit einem Blick, der mir durch Mark und Bein ging. »Ich weiß, warum du fragst«, sagte sie. »Du überlegst, ob das Zeug ausreicht, um … na ja, um als Motiv für einen gezielten Mord an Bea zu dienen.«
Ich nickte.
Maike stützte beide Hände auf die Theke. Sie trug ein weißes, eng anliegendes T-Shirt. Ihre blassen Lippen waren nicht geschminkt, das kurze Blondhaar verlieh ihr ein jungenhaftes Aussehen. Wenn man einmal in ihre Augen blickte, kam man nicht mehr von ihnen los.
»Es gibt kein Motiv für einen Mord an Bea«, sagte sie leise. »Niemand auf dieser Welt hätte einen Grund gehabt, ihr etwas anzutun. Dafür war sie viel zu …« Sie brach ab und wischte sich mit einer Hand über die Augen. Doch da war es schon passiert. Eine einzige Träne, polarkalt wahrscheinlich, war von ihren Wimpern getropft, war hart auf der Theke aufgeschlagen und in winzige Bestandteile zerplatzt. Maike wandte sich ab und zapfte mein Bier zu Ende. Mit raschen, energischen Bewegungen. Sie stellte das Glas vor mich und verschwand in der Küche.
Dort, wo sie gestanden hatte, glänzte es feucht auf dem Tresen. Feuchte Tresen sind das Normalste der Welt. Aber nicht dieser. Ich hob das Glas Bier, das mir Maike gezapft hatte, andächtig an den Mund und leerte es in einem Zug. Dann fingerte ich wieder an einem Zuckerwürfel herum.
Leises Krachen, dem ein schwacher Chiliduft folgte, rief mich in die Gegenwart zurück. Wenn ich weiterhin so schnell trank, würde ich nur noch Karos sehen. Also rasch Beatrices Unterlagen durchgeschaut, nur so, nur um der Pflicht Genüge zu tun. Ich verstand eh kaum die Hälfte, und das Gekritzel der Verstorbenen war beim besten Willen nicht zu entziffern.
Maike kam zurück, das Gesicht hart wie immer. Sie wollte an meinem Platz vorbeigehen, als ihr das leere Glas ins Auge fiel. »Ist das ein Rekordversuch?«, fragte sie. »Oder hast du mit jemandem gewettet?«
Ich beugte mich vor. »Wenn der Typ«, raunte ich ihr zu, »dieser bescheuerte Typ, der vor dir am Tresen sitzt, noch eins bestellt, schmeiß ihn raus. Hochkant. Ich bitte dich drum.«
»Warum? Meinst du, er wird ausfällig?«
»Schlimmer: sentimental. Am Ende behauptet er noch, die Bedienung im Tartuffe wäre der einzige Lichtblick an einem rabenschwarzen Tag, und ohne sie hätte er sich längst in den Neckar gestürzt.«
»Depp!«, fauchte sie und drehte sich um, zur Spüle. Ein paar Sekunden lang sah ich nur ihre Schultern, schmal, fast knochig, und ihren Hinterkopf über dem ausrasierten Nacken. Dann stellte sie beiseite, was sie gerade in der Hand hielt, und wandte sich mir wieder zu. »Entschuldigung«, sagte sie. »War nicht so gemeint. Solche Komplimente möchte man ja mal zwei Bier vorher hören.«
»Du hast recht. Ich arbeite dran.«
»Magst du noch eins?«
»Lieber nicht. Was macht eigentlich Anna?«
»Anna? Wie kommst du auf die? Die sitzt zu Hause, stresst mit ihrem Kerl rum oder hat längst Versöhnung gefeiert.«
Ich nickte und widmete mich meinen Zuckerwürfeln. Ja, wie kam ich eigentlich auf Anna? Klarer Fall von Übersprunghandlung. Anna hätte ich zum Beispiel fragen können, ob ihre Mitbewohnerin immer allein zu Radtouren aufbrach. Auf welche Sorte von Männern Maike stand und ob sie auch einen abgehalfterten Privatflic mit Beziehungsproblemen akzeptieren würde. Aber brauchte es dazu eine Anna? Die Antwort war auch so klar.
»Ich geh dann mal«, sagte ich. »Danke für die Unterlagen. Magst du sie zurückhaben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Du wirst besser wissen, was damit
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