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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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kommen.«
    »Es sind wirklich viele«, ergänzte Nerius übersetzend. Darauf einen Schluck, dachte ich und kostete das grüne Zeug. Es erwies sich als ein ganz ausgezeichneter Kräuterlikör.
    »Ich möchte wissen, wer meiner Tochter das angetan hat«, fuhr Petazzi fort. »Wer dahintersteckt, was seine Motive waren. Das bin ich ihr schuldig. Für ihren Tod gibt es keinen Grund, keine Rechtfertigung, aber vielleicht eine Erklärung. Darum, auch darum bin ich hier. Und nun komme ich zu Ihrem Beitrag, Herr Koller.«
    »Ich bin gespannt«, sagte ich und war es wirklich.
    »Sonntagabend trafen wir in Heidelberg ein. Der gesamte gestrige Tag war ausgefüllt mit Gesprächen, Verhandlungen, Diskussionen. Als Politiker habe ich in Deutschland eine Menge Freunde und Weggefährten. Ich habe mit dem Innenminister telefoniert, mit Polizeibeamten gesprochen und mit Justizbehörden; nicht, um sie durch meine Anwesenheit unter Druck zu setzen, sondern um mir einen Eindruck von den Ermittlungen zu verschaffen.« Er machte eine kleine Pause, in der ihn Nerius erwartungsvoll anstarrte. »Dieser Eindruck ist verheerend.«
    »Wieso verheerend?«
    »Ich kenne die Polizei, Herr Koller. Sie ist überall gleich, in Italien wie in Deutschland. Ganz oben stellt man eine Hypothese auf, und gemäß dieser Hypothese wird ganz unten ermittelt. Man schaut nicht nach links, nicht nach rechts, sondern stur geradeaus. Bestätigt sich die Hypothese, regnet es Orden, wird sie widerlegt, kommt sie zu den Akten, und man überlegt sich eine neue. Oder mottet den Fall ein. Die aktuelle Hypothese lautet: Wir haben es mit einem Amokschützen zu tun. Alles andere interessiert die Behörden nicht. Bis sich diese Annahme als falsch herausstellt, ist längst Gras über die Sache gewachsen. Verstehen Sie?«
    »Seien Sie mir nicht böse, wenn ich widerspreche«, sagte ich, »aber es gibt ein Bekennerschreiben.«
    Petazzi lachte auf. »Ein Bekennerschreiben, ja! So echt wie die Hitler-Tagebücher. Nicht einmal Neonazis sind so geisteskrank, dass sie in eine Menschenmenge feuern, nur um Aufmerksamkeit zu erregen. Das können Sie mir nicht erzählen, Herr Koller.«
    »Ich weiß, dass es unwahrscheinlich klingt. Aber denkbar ist es. Wer hat vor 30 Jahren den Bahnhof von Bologna in die Luft gesprengt? Fanatiker vom rechten Rand.«
    »Mag sein. Aber im Unterschied zu damals ist heute meine Tochter unter den Opfern.«
    Darauf gab es nichts zu sagen. Natürlich, für einen Vater verglühte die gesamte Menschheitsgeschichte mit all ihrem Blutzoll in der einen Sekunde, in der ihm das Kind geraubt wurde. Das verstand sogar ich. Auch Nerius hatte Petazzis Antwort übersetzt, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Petazzi räusperte sich. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Koller, aber was die Polizei denkt und worauf sie sich verhängnisvollerweise versteift, ist Unsinn. Es war kein Einzeltäter. Er handelte auch nicht im Auftrag von Rechtsradikalen. Und schon gar nicht hat er blindlings in die Menge gefeuert. Er hat ganz genau gezielt. Der Anschlag galt meiner Tochter. Und damit mir.«
    »Wie bitte?« Ich war so verdattert, dass ich vergaß, den Mund zu schließen. »Sagen Sie das noch mal. – Nein, halt!« Ich griff Nerius, der übersetzen wollte, beim Ärmel. »Er braucht es mir nicht noch einmal zu sagen, ich habe ihn schon verstanden. Akustisch zumindest. Ansonsten nicht. Wie kommt er auf so eine Schnapsidee?«
    »Schnapsidee?«, fragte Nerius.
    »Dann halt ungewöhnliche Idee. Ich meine, er hat seine Tochter verloren, das ist mir schon klar. Trotzdem, so eine Behauptung ist ungeheuerlich. Wie kommt er darauf?«
    Petazzi wollte wissen, was ich gesagt hatte. Nerius übersetzte und wartete auf die Replik. »Herr Koller«, wurde ich belehrt, »ich bin ein erfolgreicher Geschäftsmann. Auch mein Vater war es und mein Großvater. Erfolg schafft Feinde. Es gab schon immer Sabotageakte in unseren Firmen, Anschläge, wilde Streiks. Nicht der Rede wert. Aber seit zehn Jahren mische ich in der Politik mit, und auch das sehr erfolgreich. Politik setzt Emotionen frei, in einem Maße, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Ich war noch keinen Monat im Regionalparlament, als ich zusammengeschlagen wurde. Sie sehen ja, ich kann nicht einmal weglaufen. Ohne Leibwächter verlasse ich mein Haus nicht mehr. Letztes Jahr wurde am Rand einer Wahlkampfkundgebung ein bewaffneter Mann verhaftet. Er sagte, er wolle mich umbringen.«
    »Ja, Sie … Aber Ihre Tochter?«
    »Seit ich für die Lega

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