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Altstadtfest

Altstadtfest

Titel: Altstadtfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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man sich doch gekannt haben, oder?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und weiter?«
    »Was weiter?«
    »Mein Gott, Sie Kunstgeschichtler, hören Sie auf, den Mann ohne Eigenschaften zu spielen. Ab sofort dürfen Sie wieder auf Individuum umschalten. Erzählen Sie mir von Beatrice, solange Ihr Chef durch die Mailänder Börse surft. Soll ich nun ermitteln oder nicht?«
    »Sicher«, entgegnete er mit gequältem Lächeln. »Als Beatrice letztes Jahr nach Heidelberg kam, habe ich mich um sie gekümmert. Nicht lange. Sie ist sehr … sie war sehr selbstständig.«
    »Was hat sie hier gemacht? Studiert?«
    »Literaturwissenschaft und Geschichte. Sie wollte Lehrerin werden.«
    »Lehrerin. Also nicht in die Fußstapfen ihres Vaters treten?«
    »Nein.«
    »Und sie war das einzige Kind von Petazzi. Ihre Mutter?«
    »Lebt in den USA . Die Ehe ist seit Ewigkeiten geschieden.«
    »Keine Kontakte zwischen ihr und ihrem Exmann? Zwischen ihr und ihrer Tochter?«
    »Nicht dass ich wüsste. Signor Petazzi erwähnte einmal, dass auch die zweite Ehe seiner Frau gescheitert sei. Er sprach sonst nie über sie.«
    Ich ließ die grüne Flüssigkeit in dem Glas kreisen. »Beatrice kam also für einen Auslandsaufenthalt nach Heidelberg. Wo hat sie vorher studiert?«
    »In Florenz.«
    »Was war sie für ein Mensch?«
    »Was für ein Mensch? Gott ja …« Er hob die Schultern. Einmal. Und dann noch mal.
    Ich verdrehte die Augen.
    »Was gibts?«, fragte er, eine Spur Aggressivität in der Stimme.
    »Seit wann sind Sie so aufs Maul gefallen? Ein paar Charakterzüge des Mädchens werden Ihnen doch wohl einfallen. Oder leiden Sie an akuter Adjektivphobie? War sie schüchtern, selbstbewusst, ein Draufgänger, einzelgängerisch, fröhlich, depressiv?«
    »Na ja, sie war jung.«
    »Und zwar genau 22. Was noch? Weiblich, wenn ich nicht irre.«
    »Sie war ein lebensfroher Mensch«, fauchte er. »Ich würde sagen, sie hatte keine Probleme, in Heidelberg Anschluss zu finden. Kontaktfreudig, ja, das war sie. Ein nettes Mädchen halt.«
    Ein nettes Mädchen, jung und lebensfroh. Grandios, Dr. Nerius. Entweder hatte der Kunsthistoriker Beatrice als Frau überhaupt nicht wahrgenommen, oder er versuchte gerade zu vertuschen, dass er jeden Abend mit ihr im Bett war. Dem musste man anders kommen.
    Ich musterte angelegentlich meine Fingernägel. »Was ist Ihre Frau eigentlich für ein Mensch?«
    »Meine Frau?«, fuhr er auf. »Was hat die mit der Sache zu tun?«
    »Nichts«, sagte ich unschuldig. Damit ließ er sich also aus der Reserve locken.
    »Warum fragen Sie dann?«
    »Nur so. Ich dachte, vielleicht fällt Ihnen die Beschreibung Beatrices leichter, wenn Sie sie mit Ihrer Frau vergleichen.«
    »Lassen Sie Renate aus dem Spiel! Die gehört absolut nicht hierher.«
    »Ihre Frau ist älter als Beatrice?«
    »Na und?«
    »Schon gut, lassen wir das.« Mit meinem Vorurteil gegen Akademiker lag ich mal wieder richtig. Dottore Nerius war auch so einer, der studiert und studiert hatte, hier mal einen Palazzo, dort mal einen Pinselstrich von Tizian, und am Ende, als ihn keiner haben wollte, kroch er seinem geldschweren Gönner in den Hintern, bis kein Kinnbarthaar mehr zu sehen war. Und warum das Ganze? Damit die liebe Gattin in ihrer drittklassigen Galerie viertklassige Ansichten vom Heidelberger Schloss zeigen konnte. Darüber sollten sie in den Neckar-Nachrichten mal eine rührselige Schoßhündchenstory verfassen!
    Seufzend widmete ich mich wieder dem Likör. Der wenigstens war erstklassig.
    »Madonna mia!«, rief Petazzi und ließ seinen Ärger an der Tastatur aus. Sein Händedruck war schwach gewesen, aber tippen konnte er wie ein Campeone del mondo. Ich bekam Mitleid mit allen Mailändern dieser Erde.
    »Was haben Sie eigentlich studiert?«, fragte mich Nerius unvermittelt.
    »Ich? Nichts.«
    »Ich hätte geschworen, dass Sie auch mal an der Uni waren. Wegen Ihrer Ausdrucksweise.«
    »Was haben Sie gegen meine Ausdrucksweise? Formuliere ich undeutlich?«
    »Im Gegenteil. Akute Adjektivphobie, darauf muss man erst einmal kommen. Oder Mann ohne Eigenschaften: Das ist typischer Germanistensprech.«
    »Sie halten mich für einen Germanisten? Jetzt hört sich aber alles auf!«
    »Ich frage ja nur.«
    Unwirsch leerte ich mein Glas und stellte es auf meine Stuhllehne. »Psychologie«, knurrte ich. »Aber verraten Sies nicht weiter. Außerdem nur zwei Semester.«
    »Psychologie?« Er fing tatsächlich an zu lachen.
    »Hahaha. Kriegen Sie sich wieder

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