Altstadtfest
über italienische Palazzi aus dem 17. Jahrhundert. In einem von ihnen wohnt Signor Petazzi.«
»In einem Palazzo, nicht schlecht. Und dann so ein deutscher Maiglöckchenmischmasch.«
Nerius zuckte die Achseln. »Es ist ein Hotel, was wollen Sie?«
»Nichts. Seit wann sind Sie wieder in Deutschland?«
»Seit drei Jahren.«
»Und seither Petazzis Außenposten in Germania. Wie würden Sie sich bezeichnen? Als rechte Hand, Sekretär, Generalvertreter, treue Seele?«
»Als Sekretär jedenfalls nicht«, antwortete er stirnrunzelnd. »Und als Vertreter schon mal gar nicht.« Er schien tatsächlich etwas eingeschnappt.
Dann hatte das blaue Naturwunder wieder seinen Auftritt. Die Tür wurde aufgehalten, wir erhoben uns folgsam und trotteten ins Nebenzimmer. Ich zwinkerte dem stummen Kraftprotz zu. Was wohl passierte, wenn man ihm über die Igelfrisur strich? Na, erst mal drankommen!
Signor Flavio Petazzi: Da stand er, mitten im Raum, einem verdammt großen Raum übrigens, er stand da, rührte sich keinen Zentimeter, sondern wartete geduldig, bis wir unseren Weg zurückgelegt und vor ihm Aufstellung genommen hatten. Dann streckte er mir eine Hand entgegen und sagte: »Guten Tag, Herr Koller.«
Ja, so empfängt man Gäste! Das nannte ich Grandezza. In Italien mochte man es anders nennen, aber das war mir egal. Prononciert und mit der korrekten Sprachmelodie verließen die fremden Vokabeln Petazzis Mund, und nur das kaum gehauchte H und das zum Ä geschärfte E verrieten seine Herkunft. Seine Stimme war ungewöhnlich sanft für einen Mann seiner Statur; er überragte mich um einige Zentimeter, bis zur lichten Höhe seines Bodyguards war allerdings noch etwas Luft.
»Buon giorno«, retournierte ich, seinen schlaffen Händedruck erwidernd.
Wir setzten uns, und als wir das taten, merkte ich, warum sich Petazzi nicht von der Stelle gerührt hatte. Jede Bewegung bereitete ihm Schwierigkeiten. Nach einer Stuhllehne greifend, machte er einen, zwei wacklige Schritte, um sich anschließend ungelenk auf den Sitz gleiten zu lassen. Ein leichtes Zittern lief durch seinen Körper. Vielleicht Kinderlähmung. Oder eine Nervenerkrankung. In jedem Fall war Flavio Petazzi aus Florenz ein behinderter Mann.
Aber auch ein stattlicher. Sein Gesicht hätte auf der Titelseite jedes Hochglanzmagazins etwas hergemacht. Volles Haar, ergraute Schläfen, die Kinnpartie breit und kantig, klare braune Augen. Eine Spur George Clooney mit einem Schuss Burt Lancaster. Selbst die kleine Narbe, die seine Oberlippe aufriss, stand ihm vortrefflich.
»Signor Petazzi spricht leider nur wenig Deutsch«, hörte ich Nerius sagen. »Ich werde daher den Dolmetscher spielen, wenn es recht ist.«
»Natürlich ist das recht«, lächelte ich ihn an und verkniff mir, ihm das Knie zu tätscheln.
Petazzi sagte etwas auf Italienisch zu seinem Gorilla, woraufhin der sich schweigend an einem Schrank in der entgegengesetzten Ecke des Raumes zu schaffen machte. Dann erhielt Nerius eine Order, er fragte zurück, und nach zweimaligem Hin und Her eröffnete der Dolmetscher die Unterhaltung.
»Signor Petazzi dankt Ihnen zunächst, dass Sie gekommen sind. Er erhofft sich viel von Ihrem Engagement.«
»Drücken Sie ihm bitte mein Beileid aus.«
Petazzi nahm es nickend zur Kenntnis. Neben uns baute sich der Bretterverschlag von Leibwächter auf, in seiner Pranke ein putziges Gläschen mit einer grünen Flüssigkeit darin. Sobald das Glas auf dem Tisch stand, sah man, dass es Normalgröße hatte. In der Tatze des Kerls hätte ein Baby schlummern können. Anschließend zog er sich in den Hintergrund zurück, stumm wie zuvor, ein Möbelstück unter anderen.
Jetzt wieder Petazzi. Er sprach schnell und lebhaft, wie man es von Italienern gewohnt ist, nur seine Gestik blieb sparsam. Ab und zu fuhr eine Hand durch die Luft, um die Erinnerung an seine verstorbene Tochter zu beschwören.
»Ich habe mehr als nur mein Kind verloren«, tat er kund. »Ich habe meine Zukunft verloren. Mit mir werden die Petazzis aussterben, werden all die Pläne und Ideen, die ich meiner Tochter weitergeben wollte, untergehen. Ich bin zu alt, um noch einmal Kinder zu bekommen. Insofern trifft mich ihr Tod, als wäre ich selbst von Kugeln durchsiebt worden. Vielleicht kommt Ihnen das egoistisch vor. So ist es aber nicht gemeint, Beatrice würde es verstehen. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, sämtliche Geschäfte in Florenz, so zahlreich sie auch sind, abzubrechen und nach Heidelberg zu
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