Altstadtfest
schlüpfte durch die sich öffnende Tür. Für einen kurzen Augenblick war ein dunkelblauer Anzug zu sehen gewesen, ein Anzug, in dem Nerius und ich problemlos gemeinsam Platz gefunden hätten.
»Okay«, brummte ich. »Dann eben nachher.« Wenn sie mich warten ließen, hatte ich Gelegenheit, die Story vom Bärlauchmörder noch ein wenig auszuschmücken. Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging vor der Tür auf und ab. Wie man das so macht, in stillen Hotelfluren, wenn man zum Warten verdammt ist.
Es dauerte keine Minute, bis Nerius wieder erschien und mich hineinbat.
»Er brauchte natürlich jede Menge Knoblauch«, sagte ich. »Sonst hätten seine Opfer sofort gerochen, dass es sich um Maiglöckchenpesto handelte. Ich meine, sie hätten nichts gerochen, und das wäre ja gerade …«
»Sind Sie nervös?«, fragte er. »Dazu besteht kein Anlass.«
»Vielleicht liegts am Kaffee. Schön haben Sie es hier. So habe ich früher auch mal gewohnt. Glaube ich.«
Wir hatten einen Raum betreten, der zu klein für einen Saal und zu groß für ein Vorzimmer war. Seine Funktion erschloss sich mir nicht, vielleicht hatte er gar keine. Teppichboden, ein Schrank mit Glastüren, vier Stühle, ein kleiner Tisch: wenig Mobiliar, und das Wenige war geschmackvoll und teuer. Nur authentisch war es nicht, weder alt noch neu, weder streng noch verschnörkelt. Das typische internationale Beliebigkeitsinventar halt.
Eine Seitentür öffnete sich und herein trat der Mann in Dunkelblau, den ich vorhin ausschnittsweise zu Gesicht bekommen hatte. Wenn der Empfangschef unten eine Eiche war, war der hier ein Mammutbaum. Beim Schritt über die Schwelle musste er leicht den Kopf einziehen. Man verstand sofort, warum der Kerl sein Haar reißzweckenkurz trug. Haar und Haupt wurden geschüttelt, neben dem Ohr erschien eine Faust mit abgespreiztem Daumen und kleinem Finger, dann verschwand er wieder.
»Signor Petazzi telefoniert«, erläuterte Nerius überflüssigerweise. »Einen Moment bitte.«
Der Raum war also ein Warteraum. Hätte ich mir denken können. Wir setzten uns an den Miniaturtisch, schlugen die Beine übereinander, falteten die Hände. Nerius schloss die Augen und unterdrückte ein Gähnen. Wie heute Morgen trug er einen schwarzen Anzug mit grauen Silberfäden darin und zur schwarzen Weste eine mattgelbe Krawatte. Wenn er wirklich Petazzis Anlaufstelle in Deutschland war, hatte er seit dessen Ankunft bestimmt keine ruhige Minute mehr gehabt.
Ich fischte seine Visitenkarte aus der Tiefe meiner Hosentasche. »Was machen Sie eigentlich beruflich?«, fragte ich. »Hier steht nur Ihr Name mit Doktortitel. Arzt?«
»Oh, nein.« Lächelnd schlug er die Augen auf. »Ich bin etwas völlig Nutzloses: Kunsthistoriker. Einer der vielen promovierten Kunstgeschichtler, die das Land produziert, aber nicht braucht.«
»Haben Sie keine Stelle?«
»Nein«, sagte er, allen Schmerz der Welt in seinem Blick. »Ich bin arbeitslos.«
»Und wie kommt man da über die Runden?«
»Meine Frau hat eine Galerie. Die natürlich auch nichts einbringt.« Verschwörerisch beugte er sich zu mir herüber: »Bitte erzählen Sie es nicht weiter: Ich arbeite für Petazzi. Er braucht Kontaktleute in Deutschland. Ich übersetze für ihn, dolmetsche, erledige Anfragen und Behördengänge. Vom Aufwand her ein voller Job, glauben Sie mir. Und ich mache es unentgeltlich.«
»Quatsch.«
»Doch, wirklich.«
»Unentgeltlich? Sie haben sich in der Welt geirrt.«
»Signor Petazzi hat mich über Jahre hinweg derart gefördert, dass ich nie auf den Gedanken käme, irgendwelche Forderungen zu erheben. Solange ich keine Arbeit habe, helfe ich ihm gerne.« Er hüstelte. »Dafür unterstützt er die Galerie meiner Frau nach Kräften.«
»Verstehe.« Natürlich, so war allen Seiten geholfen. Nerius’ Bezahlung lief über die defizitäre Galerie der Gattin, der Signore konnte seine Zahlungen als Spenden absetzen, und in der Öffentlichkeit warf sich das feine Trio in die kunstbeflissene Brust. Nicht zu vergessen das Arbeitslosengeld, das der Junge kassierte, und die Sozialabgaben, um die sich sein Chef drückte.
»Wir kennen uns seit fast fünfzehn Jahren«, fuhr er fort. »Ich ging als junger Student nach Florenz, machte dort auch meinen Abschluss. Bei einem Symposium, das er finanzierte, wurde er auf mich aufmerksam. Kurz danach begleitete ich ihn auf einer Auslandsreise, und seitdem ging ich ihm immer mal wieder zur Hand. Meine Doktorarbeit schrieb ich
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